Betroffene Narren

Wenn im Nahen Osten der High- Tech-Tod seine reiche Ernte einfährt, kann Mainz nicht mehr Mainz bleiben. Die Fastnachter der Stadt hatten bereits letzte Woche zu verstehen gegeben, daß es aus ihrer Sicht moralisch nicht zu vertreten sei, an den bisherigen Planungen festzuhalten, wenn der Krieg am Golf in die heiße Phase tritt. Das war eine sehr weise Entscheidung, konnten sie doch niemals damit rechnen, daß das öffentlich-rechtliche deutsche Fernsehen ihre Blödelschau „Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht“ übertragen hätte. Auch für die bunten Wagen ihres Rosenmontagszugs hätte sich wohl kaum ein Sendeplatz gefunden, wenn zur gleichen Zeit Cruise Missiles, B52 und der derzeitige TV-Star Scud unterwegs sind. Also dachten die Narren an die alte Kriegslist, nach der Angriff die beste Verteidigung ist, mimten Betroffenheit und sagten ihre jährlichen flachen Witze und das Rudelsaufen in den Straßen kurzerhand ab. Nicht ohne jedoch gleichzeitig lauthals herumzujammern, wieviel Geld ihnen ihre Betroffenheit kosten kann: „Es wird fünf bis sechs Jahre dauern, das Defizit wieder auszugleichen“, lamentiert der Zugmarschall des Rosenmontagszuges, Friedel Eberhard.

In Köln und Düsseldorf, ebenfalls erstklassige närrische Hochburgen, haben sich die Witzbolde lange geziert, sie sind schließlich nicht ganz so fernsehabhängig. Doch jetzt ist auch dort der Zug abgefahren. Alle karnevalistischen Veranstaltungen unter freiem Himmel wurden abgesagt. „Dies gilt ausdrücklich auch für die Zeit von Weiberfastnacht bis einschließlich Karnevalsdienstag“, betonte das Festkomitee. Saalveranstaltungen seien dagegen Sache der Veranstalter und könnten in „angemessener Freude“ stattfinden — was immer das heißen mag.

Unsere Nachbarn im karnevalistischen Geiste, die Belgier, wollen ihre Narren dagegen von der Leine lassen. Die Lokalbehörden von Binche, Aalst und Malmedy, alles gestandene Spaßmacher, teilten mit, daß an eine Absage der Umzüge und Empfänge nicht gedacht sei. Auch der Karnevalsklub des ostdeutschen Narrenhauptquartiers Wasungen wird die Vorbereitungen für die tollen Tage auf keinen Fall abbrechen. Elferratspräsident Hartwig Köhler erklärte, daß dies mit Rücksicht auf die „bereits geleistete Arbeit der aktiven Karnevalisten“ entschieden worden sei. Also, das ist wirklich wunderbar! Selig die Fernsehunabhängigen, sie brauchen Betroffenheit nicht zu heucheln, wenn keine da ist. Karl Wegmann