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Antikriegsanzeige im 'Spiegel‘ unterdrückt

„Spitze des Hauses“ lehnte Mitarbeiteranzeige ab/ Distanzierung von Nahost-Berichterstattung befürchtet  ■ Von Petra Bornhöft

Berlin (taz) — Ungewöhnliche Situationen erfordern ungewöhnliche Maßnahmen, dachte sich der Betriebsrat der rund 850 MitarbeiterInnen des 'Spiegel‘-Verlages und formulierte eine Protestanzeige gegen den Golfkrieg. Hunderte Angestellte unterschrieben, die Geschäftsführung garantierte eine Zweidrittelseite für den Abdruck im Blatt — doch dann funkten die Spitzenmänner dazwischen. Manche 'Spiegel‘- Mitarbeiter sprechen jetzt von „Zensur“: Ein leicht veränderter Text mit wesentlich weniger Unterschriften als bei der ersten Vorlage erschien am Montag nicht etwa in dem aufrechten Nachrichtenmagazin, sondern in der 'Süddeutschen Zeitung‘.

Zunächst war die Idee des Betriebsrates auf große Zustimmung gestoßen. Während sich in der vergangenen Woche rasch Hunderte von UnterzeichnerInnen fanden, zögerte auch Geschäftsführer Theobald nicht lange, sondern sagte umgehend eine Zweidrittelseite zu. Wer aus der „Spitze des Hauses“, Herausgeber Rudolf Augstein oder der derzeit allein amtierende Chefredakteur Werner Funk, kalte Füße bekam, läßt sich nicht orten: Die Zusage für den Abdruck wurde zurückgezogen, ohne mit dem Betriebsrat noch einmal zu reden. Da die erste Begründung, der Abdruck erübrige sich, da der Krieg ja bereits ausgebrochen sei, auf wenig Verständnis stieß, schoben Geschäftsführung und Chefredaktion schriftlich noch weitere Gründe nach: Das Blatt veröffentliche prinzipiell keine Unterschriftenlisten, die Redakteure hätten jede Woche 125 Seiten Platz, um ihre Meinung kundzutun. Den Kern des Konfliktes offenbart das letzte Argument: Die Anzeige könne eine „Distanzierung von der Nahost-Berichterstattung“ des 'Spiegel‘ nahelegen. Und das hätten „die Kollegen aus der Auslandsredaktion nicht verdient“.

Dem Betriebsrat war es nach Auskunft des Vorsitzenden Wolfgang Pohl nicht im mindesten darum gegangen, die Berichterstattung anzugreifen. „Wir wollten in dem Produkt, das wir herstellen — wie andere Belegschaften auch — unsere Sorge um die Folgen des Krieges zum Ausdruck bringen“. Weil das der 'Spiegel‘ nicht zuließ, wich man auf die 'Süddeutsche Zeitung‘ aus. Für den leicht veränderten Text wurden erneut in Windeseile Unterschriften gesammelt. In der Zwischenzeit muß indes vor allem in der Redaktion so manchem das Herz in die Hose gesackt sein. Die Angst vor der Chefredaktion schien plötzlich größer als die Furcht vor den Folgen des Golfkrieges: nicht wenige Redakteure verweigerten jetzt ihre Unterschrift. In Ressorts, in denen am Anfang zwei Drittel der KollegInnen unterschrieben hatten, fand sich jetzt nur noch ein Drittel. Am Ende waren es 244 Namen.

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