Keine Nato-Debatte in USA

Nato-Bündnisfall wird in den USA öffentlich noch nicht erwogen/ Militärisches Engagement läßt sich auch bilateral vereinbaren  ■ Aus Washington A. Zumach

Anders als in der Bundesrepublik sind Szenarien, in denen der sogenannte Nato-Bündnisfall — etwa nach einer irakischen Attacke auf die Türkei — eintreten könnte, in den USA noch nicht Gegenstand der öffentlichen Diskussion. Das hat eine Reihe von Gründen. Zum einen rechnen die meisten Militärexperten bislang nicht mit einem Angriff Iraks auf die Türkei. Für den Fall der Fälle wurden am Wochenende allerdings vorsorglich die Angehörigen von US-Luftwaffensoldaten in der Türkei von den Stützpunkten evakuiert. An der offiziell verbreiteten Einschätzung, es werde zu keinem Angriff des Irak auf die Türkei kommen, änderte auch die von Radio Bagdad und der irakischen Zeitung 'Sabah‘ verbreitete jüngste Ankündigung Saddam Husseins nichts, er werde „die türkischen Ölraffinerien und Luftwaffenstützpunkte attackieren“. Diese Einschätzung wird unter anderem mit der Stärke der im Grenzgebiet zusammengezogenen türkischen Streitkräfte begründet, die den irakischen zumindest zahlenmäßig weit überlegen seien.

Vor allem aber weisen die Experten und das Pentagon darauf hin, daß der Irak im Norden des Landes über keine Raketen(stellungen) verfüge, mit denen er Ziele auf türkischem Boden erreichen könnte. Diese Begründung steht allerdings auf wackeligen Füßen: Von den irakischen Scud-B-Angriffen auf Riad und die US-Basis bei Dhahran in der Nacht zum Montag (Ortszeit Washington) wurde das Pentagon überrascht. Man war davon ausgegangen, neben sämtlichen festen Raketenstellungen auch die meisten mobilen Scud-B zerstört zu haben und nahm an, der Rest befinde sich an der irakischen Grenze zu Jordanien und werde zu weiteren Attacken gegen Israel eingesetzt.

Doch auch für den theoretisch angenommenen Fall eines irakischen Angriffs auf die Türkei wollen sich die Politker und Militärs in Washington nicht auf das Szenario eines Eingreifens der Nato einlassen. Zumindest während der Phase des Luftkrieges sehen sie in einem offiziell erklärten Bündnisfall der westlichen Militärallianz derzeit eher Nachteile als Vorteile. Mit Großbritannien, Frankreich, Italien, Kanada und den Niederlanden sind die — mit Ausnahme der BRD — von ihren militärischen Fähigkeiten her wichtigsten Nato-Staaten ohnehin schon vor Ort im Golfkrieg engagiert. Die Stationierung der niederländischen Patriot-Einheiten im Raum Diyarbakir zeigt, daß sich ein militärisches Engagement dieser Länder in der Türkei auch bilateral, ohne Erklärung des Nato-Bündnisfalls, herbeiführen läßt. Mehr als die bislang aus Deutschland entsendeten Kampfflugzeuge in die Türkei im Rahmen der mobilen Eingreiftruppe der Nato erwartet hier in Washington ohnehin niemand. Entsprechender Druck auf Bonn — so wird argumentiert- könnte eher kontraproduktiv wirken. Er würde die — in den hiesigen Medien mit großer Aufmerksamkeit bedachte — wiedererwachte deutsche Friedensbewegung stärken, die innenpolitischen Auseinandersetzungen in der BRD über den Golfkrieg weiter verschärfen und im schlimmsten Fall die Unterstützung durch die Regierung Kohl verunmöglichen, an der Washington derzeit am meisten interessiert ist: mehr Geld für den Golfkrieg. Die Frage eines Nato-Bündnisfalls könnte sich neu stellen, wenn die USA Bodentruppen von der Türkei aus gegen den Irak einsetzen sollten.