Israel soll sich auf einen langen Golfkrieg einrichten

Die Bevölkerung soll zum Arbeitsalltag zurückkehren, dabei wachsam bleiben/ In den besetzten Gebieten wird totale Ausgangssperre aufrechterhalten  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

Ständig wachsam bleiben und zugleich zum normalen Arbeitsalltag zurückkehren soll die israelische Bevölkerung. „Israel muß sich auf weitere Raketenangriffe aus dem Irak gefaßt machen“, erklärt der Militärsprecher General Nahman Shay. Er warnt vor den noch immer im Irak befindlichen Raketen und Abschußrampen und der weiter bestehenden Gefahr eines Giftgasangriffs. Die Wahrscheinlichkeit von Angriffen steige, wenn sich die Führer in Bagdad der Hoffnungslosigkeit ihrer Lage bewußt werden. Einstweilen sei die Moral der irakischen Truppe offensichtlich noch hoch.

Trotz der in den ersten Kriegstagen gemeldeten enormen Verluste, die die irakische Luftwaffe und ihre Bodeninstallationen erlitten haben sollen, nimmt das Militär in Israel jetzt an, daß nicht viel mehr als 20 irakische Flugzeuge zerstört wurden und daß der Irak weiterhin im Vollbesitz seiner militärischen Schlagkraft ist. General Shay hofft, daß die Alliierten die Zerstörung chemischer und nuklearer Einrichtungen erfolgreich vollenden werden und „der Irak seine Fähigkeit verliert, Israel anzugreifen“.

Im Gegensatz zu früheren Einschätzungen heißt es nun offiziell, daß der Krieg lange dauern wird. Darauf müsse man sich geduldig einrichten. Diese Geduld werde sich schließlich jedoch bezahlt machen. Einstweilen, so lautet die Aufforderung an die Bevölkerung, muß Israel aber zur Normalität zurückfinden. Die Produktion soll möglichst in vollem Umfang wieder aufgenommen werden. (Das Finanzministerium schätzt, daß die eine Woche wirtschaftlichen Stillstands Verluste von 300 Millionen Dollar verursacht hat.) Auch die Schulen sollen sukzessive wieder geöffnet werden. Dabei werden die Israelis zu ständiger Wachsamkeit aufgerufen, und alle sollen ihre Gasmasken stets mit sich führen. Für die Bevölkerung bedeuten die sich häufig widersprechenden Informationen und Anordnungen eine zusätzliche psychische Belastung. Sie sind nicht gerade dazu angetan, die Glaubwürdigkeit der amtlichen Stellen zu stärken. Andererseits ist zu vermuten, daß die Rückkehr zu einem mehr oder weniger normalen Arbeitsleben dazu beiträgt, die Moral der Bevölkerung zu heben. Familien, die den ganzen Tag untätig zu Hause auf weitere, unbekannte Gefahren warten oder die ihre Tage außerhalb ihrer gefährdeten Wohnungen in Hotels verbringen, verlieren ihr Gleichgewicht. Gleichzeitig bedeutet die Rückkehr zu einer Normalisierung des Lebens auch ein größeres Sicherheitsrisiko, mit dem die Bevölkerung aber auf längere Sicht leben muß.

Die totale Ausgangssperre in den besetzten Gebieten, die seit Ausbruch des Krieges gilt, werde erst aufgehoben, erklärt General Shay, wenn mit Sicherheit feststeht, daß die palästinensische Bevölkerung keine Demonstrationen oder andere Aktionen gegen die Besatzungsmacht durchzuführen wagt. Vorgestern wurde sie nur kurz unterbrochen, um den Bewohnern die Möglichkeit zu geben, sich mit den notwendigsten Lebensmitteln zu versorgen. Seit Beginn dieser Ausgangssperre hat es an den Jordan-Brücken, auf denen im allgemeinen ein reger Grenzverkehr nach Jordanien herrscht, kaum Bewegungen gegeben. Auch wirtschaftlich bedeutet die totale Abschottung der besetzten Gebiete den Verlust aller Verdienstmöglichkeiten für die dortige Bevölkerung und damit eine erhöhte Belastung. Vor dem obersten Gericht in Jerusalem stehen jetzt einige Anträge von Anwälten, die Palästinenser vertreten, zur Verhandlung. Mit diesen Anträgen soll erreicht werden, daß auch den zehntausend palästinensischen „Sicherheitshäftlingen“ Gasmasken geliefert werden. Vorläufig sind aber angeblich nicht einmal genug Gasmasken vorhanden für die palästinensische Bevölkerung in den Städten, Dörfern und Flüchtlingslagern.

Unterdessen hat sich das Verhältnis zu den USA verbessert. Aufgrund der großen Unterstützung, die Israel nun wieder in den USA erfährt, wird der israelische Finanzminister Modai, der hier gestern mit US-Vizeaußenminister Eagleburger über zusätzliche Finanzhilfen verhandelte, sehr bald in die USA reisen, um Spenden zu sammeln und israelische Staatsanleihen zu kaufen.

Palästinenser wiederholt Verhandlungsforderung

Madrid (afp) — In einem gestern veröffentlichten Interview der spanischen Zeitung 'Diario 16‘ erklärte der Palästinenserführer Faisal Husseini, der als eine der einflußreichsten Persönlichkeiten in den israelisch besetzten Gebieten gilt: „Wegen der Raketen haben die Palästinenser nun das Gefühl, daß dieser Krieg nicht nur von einer Seite aus geführt wird und daß die Iraker sich verteidigen können.“ Andererseits sprach sich der Politiker persönlich gegen den Raketenbeschuß aus. „Der Krieg ist keine Lösung, ein politischer Ausweg ist vonnöten“, fügte er hinzu.