CNN im Kaffeehaus und im Krämerladen

Das staatliche türkische Fernsehen manipuliert Informationen über den Golfkrieg/ Infos nur für englischsprachige Türken/ Massenexodus aus grenznahen Regionen wird ignoriert/ Nur Zeitungen halten dagegen — doch die werden nicht gelesen  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

In einem Raum mit Dutzenden Fernsehern und diverser Super-Kommunikationstechnologie debattieren junge Männer in Zivil, über eine Landkarte am runden Tisch gebeugt, Militärstrategien. Maschinengewehrsalven rattern. Ein Mann im Kampfanzug, mit Fotoapparat gewappnet, besteigt den Hubschrauber: „Ich ziehe in den Krieg.“ Wiederum rattern Maschinengewehrsalven. Ein anderer Mann, auch im Kampfanzug, klettert in den Hubschrauber: „Journalismus erfordert Mut.“ Zuallerletzt erscheint ein Mann mit schwarzer Augenklappe am Hubschrauber. Ein Auge des bekannten Journalisten ist einer Securitate-Kugel in Rumänien zum Opfer gefallen. Nun steht er vor dem Hubschrauber und spricht: „Auch ich gehe dorthin.“ — „Verfolgen sie den Krieg mit ihrer Zeitung 'Sabah‘“, heißt es am Schluß des Werbespots im türkischen Fernsehen.

Schon lange, bevor der Golfkrieg angefangen hatte, war die Reklame dieses türkischen Boulevardblattes Tag für Tag über den Fernseher geflimmert. Die Werbestrategen der Zeitung haben gewonnen, der Krieg ist ausgebrochen. Der Spot bedurfte nach Ausbruch des Krieges keiner Änderung. Heute noch wird er tagtäglich ausgestrahlt. Die Zeitung 'Sabah‘ wußte sehr wohl, warum sie für Unmengen Geld die Werbung im Fernsehen schaltete. Der Krieg am Golf ist der Krieg des Fernsehens.

Als er ausbrach, zeigte sich der staatliche Monopolsender TRT freilich unvorbereitet. Zwar schaltete das staatliche Fernsehen eine halbe Stunde nach der privaten Konkurrenz auf CNN um.

Doch mangelte es an Simultanübersetzern: Es wurde ein Programm für englischsprechende Türken. Nur alle fünf Minuten faßte ein Sprecher die Bilder in kurzen türkischen Sätzen zusammen. Seit diesem Tag heißt Krieg CNN. Ob in Wohnungen, Kaffeehäusern, Restaurants oder Krämerläden. Stets ein Bildschirm, stets CNN. Dabei gäbe es in der Türkei selbst eine Menge zu berichten: über die Flucht Hunderttausender aus den grenznahen Dörfern in Richtung Westen des Landes. Über das Massenelend in den kurdischen Provinzen, das durch den Krieg verschärft wurde. Über die kriegslüsterne Politik des türkischen Staatspräsidenten Turgut Özal, der scharf darauf ist, eine zweite Front gegen den Irak zu eröffnen. Über die Proteste der Opposition und das Fehlen von Zivilschutzmaßnahmen im Einzugsbereich irakischer Raketen im Südosten des Landes. Doch über die Türkei wird nicht berichtet.

Selbst als US- Flugzeuge vom türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik aus Ziele im Irak bombardierten und die Türkei in den Krieg einbezogen wurde, erfuhr der türkische Fernsehzuschauer nichts. Zwar berichtete CNN darüber, doch der staatliche Monopolsender zog es vor, diese Passagen entweder zu zensieren oder einfach nicht zu übersetzen. Das schlechte Englisch von Staatspräsident Özal in Interviews mit CNN wird natürlich übersetzt. Live, mit allem Drum und Dran. Der stellvertretende Vorsitzende der konservativen „Partei des rechten Weges“, Hüsamettin Cindoruk, spottete: „Neben seiner Tätigkeit als Staatspräsident ist Özal Berichterstatter von CNN. Aber da er fortwährend lügt, werden sie ihn vielleicht feuern.“

Vielleicht ist in keinem anderen Land seit Beginn der Golfkrise so viel und systematisch gelogen worden wie in der Türkei. Hundertfach haben Minister, der Ministerpräsident und Staatspräsident Özal beteuert, daß nie und nimmer ausländischen Kriegsflugzeugen die Starterlaubnis vom Luftwaffenstützpunkt Incirlik erteilt werden würde. Tagtäglich mußten sich die Türken von solchen langatmigen Statements im Fernsehen berieseln lassen. Es herrscht ein Informationsmonopol: Die Oppositionsparteien haben kaum eine Chance, im staatlichen Fernsehen aufzutreten, und der Sohn des Staatspräsidenten ist Miteigentümer des Privatsenders Magic Box. Als von türkischem Territorium aus die Bomber in den Irak starteten, verschwieg man es den Türken schlichtweg.

Nur die ernstzunehmenden Tageszeitungen berichten seit Beginn der Golfkrise gewissenhaft über die Rolle der Türkei. Über Geheimabkommen zwischen den USA und der türkischen Regierung zu Incirlik. Über die Auseinandersetzungen zwischen Özal und dem Generalstabschef, der den Kriegskurs nicht mitmachen wollte und seinen Hut nehmen mußte. Über Anti-Kriegsdemonstrationen und eine Meinungsumfrage, die die regierende Mutterlandspartei in Auftrag gegeben hat und wonach 74 Prozent der Türken gegen eine Beteiligung ihres Landes am Golfkrieg sind. Über Pläne, wonach die Türkei Bodentruppen in den Norden Iraks schicken wird, falls sich dort nach Saddam Husseins Sturz ein Kurdenstaat herausbilden sollte.

Nahezu alle Tageszeitungen haben monatelang gegen die Kriegspolitik Özals Kommentare und Leitartikel veröffentlicht. Genützt hat es wenig. Schließlich werden ja kaum Zeitungen gelesen. Selbst wenn die Bomben im eigenen Garten hochgehen sollten. Der Krieg findet im Fernsehen statt, bei CNN.