Der Krieg als Schauspiel

■ Echte Tote haben im Fernsehmärchen nichts zu suchen EUROFACETTE

Der erste Angriff kam rechtzeitig zu den Abendnachrichten in den USA. Der Golfkrieg, seine Vorgeschichte und die weltweiten Reaktionen sind ohne die Reporterteams, die Satelliten und Fernsehgeräte nicht denkbar. Star der Stars ist die Nachrichtengesellschaft CNN. Seit dem ersten Weltkrieg weiß man, daß die Medien über den Kriegsausgang mitentscheiden. Seit jener Zeit werden die Nachrichten durch die Oberkommandos zensiert. Es geht schließlich nicht nur um das eitle Unterhaltungsbedürfnis des Publikums. Nicht wiederholen soll sich etwa, daß, wie im Vietnamkrieg, die Fernsehbilder den Widerstand im Inland schüren. Tote und Verwundete haben diesmal auf dem Bildschirm nichts zu suchen, der Krieg soll auf den Bildschirmen als weitgehend technischer Vorgang erscheinen. Auch die irakischen Medien zeigen im übrigen keine Opfer, die die Kampfmoral schwächen könnten. Die zum Krieg hinführenden Entwicklungen sind von den Medien dokumentiert und bestimmt worden.

Dieses Schauspiel hatte zwar keinen allwissenden Regisseur, aber es folgte einer Dramaturgie, die jeder Fernsehserie auch dann Einschaltquoten gebracht hätte, wenn es sich nicht um — Entschuldigung — „wirkliche Realität“ handelte. Anfang August 1990 hatte die Serie recht banal begonnen. Ein blutrünstiger Diktator, der schon einen Krieg vom Zaun gebrochen und verloren hatte, gönnte sich, was jeder gerne täte, der bis zum Hals in Schulden steckt: er beseitigte den Gläubiger. Dieses banale Kriminalstück hatte sich bis Janaur 1991 zum schicksalhaften Kampf zwischen den Mächten des Lichts und der Finsternis entwickelt. Die Änderung des Drehbuchs rief unter den Zuschauern zwar Beklommenheit hervor, aber sie garantierte hohe Einschaltquoten. CNN und die anderen Fernsehgesellschaften werden auf jeden Fall zu den Gewinnern dieses Krieges gehören.

Eine Besonderheit dieses Stücks war jedoch, daß in ihm zwei ganz unterschiedliche Geschichten erzählt wurden. Die eine handelt von einem Helden, der sich gegen die imperialistische Übermacht des Bösen zur Wehr setzt. Seine Worte waren von Anbeginn sehr markig; nie würde er sich dem fremden Tyrannen beugen. Als dieser zu drohen und zu schikanieren begann, enthüllte der Held, worum es in Wirklichheit ging: um die endgültige Befreiung des gerechten Volkes, die Vertreibung der Eindringlinge und das Glück. Dafür war der Held bereit, sein Leben und das einiger anderer zu opfern und zum Blutzeugen zu werden. Ein Teil der Welt lauschte dieser Geschichte begeistert. Diese Begeisterung äußerte sich nicht nur in dem Land, in dem eh schon alle dem Helden hingebungsvoll gehorchten, sondern bei fast allen, denen er die Befreiung und die Wiederherstellung ihrer Würde versprochen hatte. Der massenhafte Enthusiasmus war selbst überzeugender Beweis, daß es um den Kampf zwischen Gut und Böse ging und nicht um banale Schuldentilgung. Die das Geschehen tragende Religion wirkte in dieser Darstellung allerdings wie eine Erfindung der Aufnahmestudios.

Auch in der zweiten Geschichte ging es um den Kampf zwischen Gut und Böse, aber in einer anderen Verkleidung. Hier stellte sich das Gute als Maß, Vernunft und Zivilisiertheit gegen todesverachtenden Fanatismus, Massenextase und Verblendung dar. Der Krieg gelte, hieß es, nicht dem anderen Volke, sondern nur dem Tyrannen. Der bislang technisch aufwendigste Krieg wurde so von der wenig heldischen Besorgnis um unschuldige Menschenleben kommentiert. Die führenden Politiker zeigten immer wieder Mitgefühl und Betroffenheit. Das galt sogar für den positiven Helden dieser Geschichte. Auf seinem Gesicht zeichnete sich zwar die Entschlossenheit ab, dem Unrecht zu wehren. Immer aber zeigte es auch Kummer, Besorgnis und Nachdenklichkeit. Der Krieg sei unerwünscht und furchtbar, lautete die Botschaft. Das erklärt unter anderem eine Anomalie der bisherigen Kriegsgeschichte: Über die Aktionen von Kriegsgegnern wurde berichtet; ihre Motive galten als ehrenhaft. Defaitistische Propaganda, Aufrufe zur Desertion, die in Kriegszeiten bisher immer fürchterlich geahndet worden waren, blieben vielfach straffrei.

Gerade diese Zurückhaltung aber konnte als zivilisierte Rechtfertigung für den Krieg vorgebracht werden. Es genügte, den schnurrbärtigen Diktator so auftreten zu lassen, wie er es selbst wollte, oder die Massendemonstrationen zu zeigen, in denen er gefeiert wurde, um Widerwillen gegen den vernunftfeindlichen Fanatismus zu wecken. Die Protagonisten der beiden Geschichten unterschieden sich auch äußerlich. Der muslimische Held trat als Ranger auf und trug jenes kriegerische Outfit, das amerikanische Kriegsserien über alle Leinwände und Bildschirme verbreitet hatten. Der christliche Held hingegen erschien besonders zivil. Er entsprach eher dem großen verantwortungsbewußten Arzt, der vor einer riskanten, vielleicht aber lebensrettenden Operation steht. Trotz aller religiösen und ethischen Unterschiede hatten beide Geschichten jedoch eine gemeinsame Basis. Durch alle Zeiten und Kostümierungen hindurch gehörte der Streit um die Ehre zum Kern aller Epen und TV-Serien. Kein Held und kein Heldenvolk durfte das Gesicht verlieren. Ein Held geht nicht ehrlos, sondern „tragisch“ zugrunde. Und daß der Golfkrieg eine „Tragödie“ ist, darüber sind sich doch fast alle einig. Wenn es also um die Erhellung jener merkwürdigen Automatismen geht, die den Kriegsausbruch herbeiführten, sollte man die Ehre und die Helden nicht vergessen. Um anderes ging es schließlich schon im trojanischen Krieg nicht. Erhard Stölting