: Die Hauptstadt in spe ist schwarz-rot
Berliner CDU und SPD unterzeichneten ihr Koalitionsabkommen/ Die CDU schickt keine einzige Frau in die Regierung/ Der rot-grüne Innensenator Erich Pätzold spricht sich gegen die Koalition aus/ Steht jetzt die ALisierung der SPD bevor? ■ Von Kordula Doerfler
Berlin (taz) — Das schwarz-rote Bündnis in Berlin ist perfekt. Die Hauptstadt im Wartestand wird von heute nachmittag an von einer großen Koalition aus CDU und SPD regiert. Gestern mittag wurde im Rathaus Schöneberg die in mühsamen Verhandlungsrunden ausgearbeitete Koalitionsvereinbarung feierlich unterzeichnet. Dem neuen Senat, der heute vereidigt wird, gehören neben dem Regierenden Bürgermeister Diepgen fünfzehn SenatorInnen an - acht fielen an die CDU, sieben an die SPD. Die CDU schickt keine einzige Frau in den Senat und nur einen „Alibi-Ostler", einen völlig unbekannten Arzt, der seit 18 Jahren Mitglied der alten Blockpartei ist. Die SPD kürte immerhin drei Frauen, die Senatorinnen Jutta Limbach (Justiz), Ingrid Stahmer (Soziales) und die ehemalige Präsidentin der Ostberliner Stadtverordnetenversammlung Christine Bergmann.
Am Dienstag abend war auf einem Sonderparteitag der Berliner Sozialdemokraten die Koalitionsvereinbarung mit der CDU von einer deutlichen Mehrheit gebilligt worden. 187 von insgesamt 271 Delegierten sprachen sich für die Koalition aus, 82 dagegen. In einer stundenlangen Aussprache übte die Parteibasis zum Teil heftige Kritik an dem ausgehandelten Paket, in der Abstimmung zeigte sie dann jedoch wieder die gewohnte Parteidisziplin. Für Überraschung sorgte allerdings der Innensenator der alten rot-grünen Koalition, Erich Pätzold. Er sprach sich in einem Redebeitrag offen gegen das Bündnis mit der CDU aus. Pätzold, bis zur Häuserräumung in der Mainzer Straße Anhänger einer Deeskalationsstrategie der Polizei, warnte vor künftigen Polizeieinsätzen und sozialer Ungerechtigkeit. „Die Partei übernimmt die Hälfte der Verantwortung“, rief er in den Saal und traf damit die Stimmung der Partei. Die Spitzengenossen reagierten scharf, hatte Pätzold doch maßgeblich im Bereich Innenpolitik an den Koalitionsverhandlungen mitgewirkt. Der Ex-Regierende und jetzige Parteichef Walter Momper ergriff erregt das Wort und wies die „unsinnigen Behauptungen“ zurück.
Schon jetzt wird deutlich, daß die Berliner SPD in der neuen Konstellation als kleinerer Partner in vielen Fällen in die Rolle verwiesen wird, die vorher der AL zufiel. In der Partei wird bereits von einer „ALisierung" der SPD gesprochen und von „Sollbruchstellen“. Eine davon könnte in der Tat das brisante Feld innere Sicherheit sein. Das wichtige Innenressort mußten die Sozialdemokraten in den Verhandlungen der CDU überlassen, die mit dem Thema innere Sicherheit den Wahlkampf geführt und gewonnen hatte. Sie schickt als künftigen Innensenator nun ausgerechnet den Präsidenten der Freien Universität, Dieter Heckelmann ins Rennen. Der parteilose Erzkonservative ließ sich 1983 zum FU-Präsidenten wählen und diffamierte seinen Vorgänger, den links- liberalen Germanisten Eberhard Lämmert, öffentlich. Während des Berliner Hochschulstreiks vor zwei Jahren ließ er die FU mit Polizeigewalt räumen.
Neben dem Innenressort mußten die Sozialdemokraten auch das zweite Querschnittsressort, Finanzen, an die CDU geben, die sie ausgerechnet mit dem Ex-Wirtschaftssenator Elmar Pieroth besetzte. Auch die für die Entwicklung der Stadt zentralen Verwaltungen Stadtentwicklung/Umweltschutz und Verkehr fielen an die Union. Die SPD hofft trotzdem, ihr Profil zu wahren und vor allem im Bereich Sozialpolitik Einfluß nehmen zu können. Belastet ist die Koalition von vornherein nicht nur wegen der politischen Differenzen beider Parteien, sondern durch die angespannte Haushaltslage der Stadt. Der eiserne Sparkurs von Finanzminister Waigel wird das Loch in den Kassen der vereinigten Stadt vermutlich um Milliardenbeträge anwachsen lassen. Ihr Programm, das ursprünglich über drei Milliarden Mark mehr kosten sollte, mußte die neue Berliner Regierung dementsprechend zusammenstreichen. Das erklärte Koalitionsziel, die Lebensverhältnisse auf Westberliner Niveau anzugleichen, das im Regierungsprogramm formuliert wurde, wird kaum einzulösen sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen