Israels erster Krieg im eigenen Land

Angriff Iraks auf Tel Aviv forderte drei Tote/ USA um 13 Mrd. Dollar gebeten  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

Die iraelische Bevölkerung wird sich wohl kaum an den Raketenkrieg „gewöhnen“: an die irakischen Scud- Raketen, die auf Tel Aviv abgeschossen wurden. Die israelische Gesellschaft auf ihrem kleinen Territorium, auf einer Seite von Feinden, auf der anderen vom Mittelmeer eingeschlossen, fühlt sich für ein längeres Ausharren der Bedrohung zu verletzlich.

Israel war stets die stärkste Militärmacht in der Region. Man ist hier nicht daran gewöhnt, die eigene Lage unter dem Gesichtspunkt der Verteidigung des dicht bevölkerten israelischen Territoriums zu beurteilen. Israel war berühmt dafür, Kriege zu gewinnen und hat seine Militärstrategie immer danach ausgerichtet, daß militärische Auseinandersetzungen nicht auf dem eigenen, sondern auf feindlichem Territorium ausgetragen werden.

Die Erfahrung, unter Raketenbeschuß genommen zu werden, ist neu und beängstigend. Die Opfer und die potentiellen Opfer der gegenwärtigen Angriffe fragen sich, warum man diese Situation auf Dauer hinnehmen soll, obwohl jeder weiß, daß Israel die militärische Schlagkraft dazu hat, in einer Weise zurückzuschlagen, mit der weitere Angriffe des Irak mit Scud-Raketen verhindert werden könnten.

Noch in den letzten Tagen waren Israels Hoffnungen auf eine wirksame Verteidigung durch die von US-Militärs bedienten Patriot-Raketen genährt worden. Diese Erwartungen sind in der vergangenen Nacht nachhaltig enttäuscht worden, als die angreifenden Scuds von den Patriot-Raketen nicht abgefangen werden konnten und 96 Menschen verletzt und drei Personen in einem Vorort Tel Avivs getötet wurden. Ein Volltreffer zerstörte einen Wohnblock völlig und zog die umstehenden Häuser in Mitleidenschaft.

Dennoch spricht im Augenblick alles dafür, daß auch der dritte irakische Angriff keinen militärischen Gegenschlag Israels auslösen wird, da die Amerikaner wiederholt betonen, daß die Israelis weiterhin einen solchen Schritt nicht erwogen hätten. Israel, so die USA, solle es auch im eigenen Interesse den US-Streitkräften überlassen, den „Job zu machen“, denn im Augenblick könne eine israelische Intervention kaum effektiver gegen irakische Raketen sein als amerikanische Aktionen. Israelische Strafaktionen mit der Begründung rechtfertigen zu wollen, „Dampf abzulassen“, könne der öffentlichen Meinung und den im Krieg gegen den Irak alliierten Regierungen nur schädlich sein.

Vor diesem Hintergrund wird auch die weitere Präsenz des stellvertretenden US-Außenministers Eagleburger und seiner Mitarbeiter in Israel beurteilt: Daraus spreche das Bemühen Washingtons, Israel von einem Gegenschlag gegen den Irak abzuhalten, bevor er nicht mit den USA abgesprochen sei. Eagleburgers Aufenthalt wird in Israel auch als „Babysitter“-Mission charakterisiert ('Ha'aretz‘, 23.1.91) Die Zeitung meint, daß der israelischen Regierung das nur recht sei, weil mit diesem Interesse Präsident Bushs die Gefühle der Bevölkerung beruhigt werden können.

Inzwischen hat Israel mit wahrscheinlichem Erfolg um Unterstützung in Höhe von 13 Milliarden US- Dollar gebeten, um die Folgen des Kriegs und die Aufnahme von Juden aus der UdSSR tragen zu können. Außerdem soll ein neues israelisch- amerikanisches Abkommen hinsichtlich zukünftiger Zusammenarbeit weiter vorangekommen sein.

In der Knesset haben gestern Abgeordnete scharf gegen den „aggressiven europäischen Antiamerikanismus und Antiisraelismus“ insbesondere seit Ausbruch des Krieges protestiert. Sie verlangten, daß die Europäer (vor allem die Deutschen und Franzosen) an ihre historische Schuld und gegenwärtige Verantwortung gegenüber den Juden und Israel erinnert werden sollen. Sie fordern darüber hinaus Garantien insbesondere von der deutschen Regierung, daß die Lieferungen an die irakische Kriegsmaschinerie definitiv eingestellt werden.

Ein prominenter 'Ha'aretz‘-Kolumnist hat gestern eine Anpassung der israelischen Politik und Propaganda an die neue Realität im Nahen Osten eingeklagt. Das Gewicht Ägyptens, Syriens und Saudi-Arabiens werde in dieser Region zunehmen, während gleichzeitig die herrschenden Kreise innenpolitisch bedroht werden könnten. Gefordert wird ein neuer Naher Osten, in dem die Palästinenser nicht länger von der westlichen Welt gehätschelt würden, in dem sich die PLO schließlich mit solchen arabischen Staaten zusammenschließen wird, die Amerika gegen Saddam Hussein unterstützen, und ein neuer Naher Osten, in dem die USA die entscheidende führende Rolle spielen werden.