Klamotten als Sondermüll

■ »Giftgrüne Woche« zum Thema Textilien/ Bundesbürger verbrauchen am meisten/ Viele Stoffe hautunfreundlich, manche müßten zum Sondermüll

Berlin. Möglicherweise werden die Besucher der Grünen Woche dieses Jahr in Massen bei der Giftgrünen Woche vorbeigucken. Der Veranstalter der Ernährungs- und Landwirtschaftsmesse unterm Funkturm hat die schon traditionelle Gegenveranstaltung ganzseitig in seinem Veranstaltungskalender angekündigt.

Diesmal ist ein Verweis auf die alternative Messe im Schöneberger Ökodorf auch nötiger denn je. Denn die VeranstalterInnen in der Kurfürstenstraße 14 beschäftigen sich mit dem Thema Stoff. Die Produktion von Rohstoffen für die Textilindustrie spielt in den 25 Messehallen im Schatten des ICC keine Rolle, obwohl ein Großteil der landwirtschaftlichen Flächen für diese Rohstoffe verbraucht werden. Merkwürdigerweise hat sich aber auch die Umweltbewegung bisher — salopp gesagt — die Auseinandersetzung mit den eigenen Klamotten gespart, obwohl der Anbau von Pflanzen für und die industrielle Verarbeitung in der Textilindustrie große Umweltschäden nach sich ziehen.

In der Kurfürstenstraße klären über 25 Schautafeln über die Geschichte von Stoffen, über deren umweltfreundliche oder -schädliche Produktion, über deren Hautverträglichkeit und über die Bedeutung von Mode auf. Die 10. Giftgrüne Woche wird dabei drei Wochen lang von 19 Veranstaltungen begleitet (siehe Kasten). Die Ausstellung beginnt mit einem Berg Wäsche von 23 Kilo. Diesen Berg von mehr als fünf Waschmaschinenladungen verbraucht jeder Bundesbürger durchschnittlich im Jahr an Dreckwäsche — damit sind wir Weltspitze. Weitere Tafeln problematisieren, daß fast alle Textilfasern am Ende der Produktionskette veredelt werden. Eine Tafel mit dem Titel Krank durch den Kleiderschrank informiert, daß bei der Veredelung die Stoffe mit Kunstharzlacken übersprüht werden, damit sie nicht filzen, daß sie mit dem krebserzeugenden Formaldehyd haltbar gemacht und mit giftigen Farbstoffen gefärbt werden. Auf weiteren Tafeln wird erläutert, daß Naturfasern (Seide, Wolle, Baumwolle) auf den Anbaufeldern kräftig mit Pestiziden gespritzt werden und Piloten, Pflücker und Böden dabei unter immer stärkeren Giften zu leiden haben. Die industrielle Verarbeitung von Viskose wiederum erzeugt soviel schwefelhaltige Abwässer, daß die Herstellung dieser Faser in westlichen Industrieländern aufgrund von Umweltbedenken untersagt wurde. Jetzt produziert sie der Ostblock. Manche Synthetiksocken sind »antimikrobiell ausgerüstet«. Die Füße stinken weniger — dank Antibiotika. Darauf, daß Synthetiks diesen ungesunden Bakterienkiller enthalten können, wird nirgends hingewiesen. Mikrofasern wie »Gore-Tex«, die in die eine Richtung keinen Regen, in die andere Richtung aber den Schweiß durchlassen, enthalten Fluor und gehören somit nach Verschleiß auf den Sondermüll und nicht in den Ascheimer. Denn Fluor zerstört die Ozonschicht. Umweltfreundlich sei nur der Anbau von Flachs (Leinen), stellt das Ökodorf fest, aber die Verarbeitung sei mechanisch sehr aufwendig und damit teuer.

Tafeln zu den Arbeitsbedingungen klären darüber auf, daß gelernte Kräfte in der bundesdeutschen Textil- (14,50 DM brutto) und Bekleidungsindustrie (12,50 DM brutto) schlechter verdienen als alle anderen Industriearbeiter. In Asien verdienen die Textilarbeiterinnen nicht mehr als zwei Dollar pro Tag.

Daß es Wirkung zeigt, auf die Mißstände in der Textilindustrie aufmerksam zu machen, macht eine Schautafel zum Thema chemische Reinigung deutlich. Die Bundesrepublik hat nach Protesten von Verbrauchern die Höchstmengen des Reinigungsstoffes PER drastisch reduziert. PER ist so flüchtig, daß es selbst durch Betonwände geht, sich dann im Fettgewebe des Menschen ablagert. Mitte dieses Jahres wird mit dem Weltfaserabkommen festgelegt, welche Länder Textilien in welchen Mengen (Quoten) importieren dürfen. Die Hoffnung der Mitarbeiter des Ökodorfes: Umweltinitiativen könnten dort erreichen, daß die Quoten nach umweltpolitischen Aspekten festgelegt werden. Dirk Wildt