: »Penetrant auf gerechtes Zusammenleben pochen«
■ Gespräch mit der ehemaligen Ausländerbeauftragen des ehemaligen Ostberliner Magistrats, Anetta Kahane INTERVIEW
taz: Manche Leute behaupten, in Ost-Berlin brauche man nun ohnehin keine Ausländerbeauftragte mehr, weil kaum noch AusländerInnen dort leben...
Kahane: Angenommen man teilt diese Einschätzung, dann müßte man um Ost-Berlin auch wieder eine Mauer bauen, damit es so bleibt. Aber erstens leben weiterhin AusländerInnen in Ost-Berlin, und zweitens werden in Zukunft mehr hierherziehen. Und diese Menschen haben erhebliche Probleme mit dieser Gesellschaft und den InländerInnen. Ausländerarbeit befaßt sich mindestens zu gleichen Teilen mit den Problemen der Inländer. Oder nennen Sie es ein interkulturelles Problem — und das besteht unabhängig von der Zahl der Ausländer, die hier leben. Je weniger Ausländer hier leben, desto größer die Spannungen zwischen ihnen und den Inländern — und desto notwendiger ist unsere Arbeit.
Kurz vor Ihrem Amtsantritt haben Sie die damals noch existierende DDR als »monokulturelle Gesellschaft« bezeichnet. Nach Ende Ihrer kurzen Amtszeit — was hat sich verändert?
Es hat sich einiges verändert. Zwischen meinen Telefongesprächen zum Beispiel mit Behörden oder Betriebsvertretern damals und heute liegt ein himmelweiter Unterschied. Heute ist den Leuten klar, daß dies eine offene Stadt ist, daß Ost-Berlin dazugehört und daß es das Problem Ausländerfeindlichkeit und Rassismus tatsächlich gibt. Das wurde bis vor kurzem ja noch schlichtweg geleugnet. Zu Beginn meiner Amtszeit bin ich oft auf die Haltung gestoßen: Wir wollen mit Ausländern nichts zu tun haben, die sollen bloß abhauen. Heute ist vielen klar, daß das ein Thema ist, zu dem man sich auch engagieren kann. Dieses Engagement ist durch uns, durch unser penetrantes Pochen auf ein gerechtes Zusammenleben, auch unterstützt und gefördert worden. Da hat ein Prozeß der Öffnung stattgefunden.
Rassistische Übergriffe, besonders in Ost- Berlin, haben über einige Monate hinweg die Schlagzeilen beherrscht. Jetzt scheint es plötzlich ruhiger geworden zu sein. Entspricht das der Realität oder einer verzerrten Medienwahrnehmung?
Im Moment scheint das Problem nicht mehr so präsent. Das kann damit zusammenhängen, daß wir aufgrund des Verwaltungschaos in den letzten Monaten längst nicht mehr alle Informationen bekommen haben. Nach wie vor gibt es Belästigungen und Angriffe auf Ausländer. Nach wie vor gibt es Jugendliche, die es als Sport betrachten, Ausländer anzupöbeln. Möglicherweise werden manche Spannungen jetzt auch woanders ausgetragen, nämlich dort, wo sich die Konflikte tatsächlich abspielen — am Arbeitsplatz zum Beispiel.
Ein anderes Thema ist fürs erste zwar aus den Schlagzeilen verdrängt, aber trotzdem nicht vom Tisch: die Zuwanderung von Menschen aus Osteuropa. Wie kann sich, wenn überhaupt, Berlin darauf vorbereiten?
Mal die aktuelle Situation vorweg: Sollte es im Baltikum zum offenen Bürgerkrieg kommen, steht es natürlich außer Frage, daß Deutschland dann Flüchtlinge aufnimmt. Genauso steht außer Frage, daß politisch Verfolgte hier Zuflucht finden müssen. Was die Zuwanderung aus Osteuropa unabhängig von diesen Faktoren betrifft, so hat man zwei Möglichkeiten. Entweder sind wir bereit, uns mit den Konsequenzen einer solchen Fluchtbewegung auseinanderzusetzen, oder wir verlegen uns darauf, die Grenzen so dicht wie möglich zu machen. Ich bin weder der Meinung, daß man alle Leute reinlassen kann, noch glaube ich, daß das Problem durch zehn weitere Aldi-Filialen an der Grenze zu lösen ist. Ich habe da genausowenig perfekte Antworten wie irgend jemand anders. Wir müßten im Grunde zu der Erkenntnis kommen, daß man bereit ist, die Lebensstruktur der reichen europäischen Länder — dazu zählen auch wir — zu ändern. Das würde für jeden spürbare, massive Einschnitte im Lebensstandard bedeuten. Und es ist durchaus nachvollziehbar und verständlich, daß niemand dazu bereit ist. Aber die Einschnitte wird es geben. Wir werden jetzt erst spüren, wie teuer uns die Folgen des letzten Krieges in Europa wirklich zu stehen kommen. Gespräch: Andrea Böhm
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