Gesprächspartner ernstgenommen

■ „Veranda“, Mi., 23.1., ARD, 23.05 Uhr

Dagobert Lindlau ist Chefreporter des Bayerischen Rundfunks, im eigenen Hause nicht unumstritten, und hatte es infolgedessen nicht ganz leicht, seine erste eigene Talkshow den eigenen Wünschen gemäß durchzusetzen. Seit Mittwoch ist sie im Programm der ARD plaziert und ersetzt dort Fuchsbergers nicht einmal als Pausenfüller taugende Zwiegespräche mit Freunden und Kollegen aus alten Tagen.

Erfahrungen mit der Sendeform Talkshow sammelte Lindlau bereits als Co-Moderator der Reihe Drei nach Neun. Schon damals schieden sich an der eigenen Art des gelernten Journalisten die Geister. Lindlau macht es einem leicht, ihn nicht zu mögen. Seine massive Statur wirkt einschüchternd, fast bedrohlich; kaum eimal verschwindet der skeptische Gesichtsausdruck aus seinem wie holzgeschnittenen Gesicht. Um Charme bemüht er sich gar nicht erst; er weiß wohl, es wäre vergeblich. Dafür kann er sich in ein Thema förmlich verbeißen, insistiert hartnäckig bei unbefriedigenden Antworten, um Präzision bemüht, selbst wenn es um private und sehr intime Gefühle geht. Damit riskiert er wissentlich den Vorwurf mitleidloser Penetranz, aber zumindest in der ersten Folge seiner Sendung Veranda schaffte er knapp die Gratwanderung zwischen der Einforderung exakter Aussagen und peinlichem Seelenstriptease. Mit diesem Wagemut hebt sich Veranda schon eindeutig von vielen anderen Talkshows des deutschen Fernsehens ab.

Die Unterschiede offenbarten sich, da Gäste wie Philip Rosenthal und Christine Kaufmann aus anderen Plaudersendungen nur zu gut bekannt sind, was zunächst Unbehagen evozierte, denn Lindlaus vorab erklärter Anspruch war, eben nicht die notorischen Talkshow-Wanderer zu präsentieren. Aber gerade der Vergleich machte die Qualitäten sichtbar. Christine Kaufmann wird gerne als Paradiesvogel und naives Dummchen, Philip Rosenthal als Bonner Unikum verkauft. Lindlau nahm beide als Gesprächspartnter gleichermaßen ernst — was auch bedeutet, daß Rosenthal sich unwirschen Widerspruch einfing, wie es in einer seriösen Gesprächsrunde unter Erwachsenen zwangsläufig vorkommt. Diese Art des Frage- und Antwortspielchens erbrachte zwar keine definitive Erkenntnis zum Thema des Abends, der menschlichen Angst in all ihren verschiedenen Ausprägungen. Aber die vielen kleinen Wahrheiten, facettenreich zusammengefügt aus den Antworten auf Lindlaus Fragen, aus Gesprächen der Gäste untereinander und aus kurzen Filmbeiträgen, fügten sich nach sechzig Minuten intensiven Austausches zu einer tragfähigen gedanklichen Basis, von der aus weitere Beschäftigung mit den angesprochenen Fragen nicht nur möglich wird, sondern auch reizvoll erscheint. Für dieses Ergebnis kann man auf das sonst übliche Harmoniestreben, auf Prominentenanschleimerei und eitle Gespreiztheiten gut verzichten. Herr Dittmeyer