Lakonie und Meisterschaft

■ Prosa von Susanne Röckel

Eine Liebesgeschichte, die sich in aller Trostlosigkeit wiederholt; ein Frauenleben, das vom Abitur über eine Sahara-Reise zum Posten der Animierdame in einem zweitklassigen Vorortlokal führt; der Kampf eines Absteigers gegen eine traurige Erinnerung; die plötzliche Unruhe in den einsamen Tagen einer alternden Angestellten...

In ihrem zweiten Prosaband verfolgt Susanne Röckel die Notwendigkeit des Planlosen und geht dabei souverän den Weg des größten Widerstands. Denn die meisten der hier versammelten Erzählungen beginnen dort, wo die Geschichten zerfallen, die Geschehnisse unansehnlich, die Protagonisten konfus werden und die erzählbare Erfahrung schwindet.

Doch der blendend helle Realismus der Erzählerin hat alles Milieu, alles Ambiente aus diesen Lebensläufen, Lebensfragmenten, Konstellationen und Begegnungen wegvergrößert. Mit nüchterner Direktheit holt sie das fahle Personal, die stereotypen Abläufe und Bilder dieser Wirklichkeit so nahe heran, bis im Geriesel der Monotonie die Störung, die schicksalhafte Zerklüftung, das unerhörte Ereignis sichtbar werden. Dies gelingt durch die Technik synkopischer Raffung und Dehnung, die das Episodenhafte ausspart, den Takt des Wirklichen ebenso unterbricht wie den selbstgenügsamen Fluß des Erzählens und schließlich eine Beherrschung der erzählerischen Mittel offenbart, die man Lakonie, aber auch Meisterschaft nennen könnte: der die Atmosphäre nicht zur Zustimmung, die Zuspitzung nicht zur Pointe, das Kleine nicht zur Miniatur und das Innere nicht zur Innerlichkeit gerät.

Im Gegenteil. Die Erregungen und Affekte, die sich unter der zum Zerreißen gespannten Haut der Zustände und Begebenheiten aufdrängen, werden hart, gegenständlich und als psychosomatischer Komplex unmittelbar gegenwärtig — wie der Schmerz (in der Erzählung Sonntag, Montag), der aus der Magengegend aufsteigt und die Proportion der Dinge angreift, bis sie eins sind mit den Empfindungen dessen, der zusammengekrümmt am Boden in der dunkelsten Ecke seines Zimmers liegt.

Entsprechend sind die Personen dieser Erzählungen keine Akteure, sondern Unregelmäßigkeiten und Druckstellen im Gewebe der Außenwelt. Und ihre Erfahrungen solche des Absterbens: „Irgendeine winzige Kleinigkeit verändert sich“, reflektiert eine dieser Figuren, „etwas kommt aus dem Gleichgewicht, verliert den Takt, bleibt zurück, wird krank und stirbt ab.“

Wie schon in Röckels erster großer Erzählung Palladion (1989) aber provozieren diese Erschöpfung, das Verschollensein, Verkriechen und Beiseitegeschobenwerden den Gegendruck und die wachsende Kraft des Erzählens selbst, das bis zum letzten Satz nicht an der Auflösung, sondern an der Kompression, nicht am Verschwinden, sondern an der Transparenz der Erfahrungsreste arbeitet. (Und diese Kraft berührt sich auf der Gegenseite noch mit der Geste der beiden asiatischen Erzählungen des Bandes, Das chinesische Mädchen und Der Kimonofärber, die wie unter dem Schutz einer anderen Zeit und einer anderen Welt den Atem des Geschichtenerzählens wiedergewinnen.)

Nur gelegentlich wird schließlich jenes leblose Leben an endzündlichen Punkten durchbrochen, an denen sich ein verhaltenes Pathos der Öffnung und des Ausbruchs ansammelt, als könnte alles anders sein: Traumsplitter, Tagtraumsplitter, wie das verschwommene Bild eines kauernden Eskimos, das aus der unendlichen Schneefläche in die geschlossene Abteilung einer psychiatrischen Anstalt hereinleuchtet, oder wie der Name eines fernen Ortes, „Arbre du Ténéré“, die Kreuzung zweier verlassener Pisten im Wüstensand; fast unkenntlich Merkzeichen des Verlusts.

JosephVogl

Susanne Röckel: Der Kimonofärber · Erzählungen , Otto Müller Verlag, Salzburg