Neue Schwierigkeiten auf dem Weg zur Marktwirtschaft

Die Folgen der polnischen Rezession in Zahlen/ Die neuen Privatbetriebe sind allerdings vom allgemeinen Produktionsrückgang kaum betroffen  ■ Aus Warschau Klaus Bachmann

Die Einführung der Marktwirtschaft hat in Polen zu einem deutlichen Rückgang der Produktion geführt. Nach den Zahlen des statistischen Zentralamts CUS sank die Produktion in den fünf Hauptbranchen der polnischen Staatsindustrie (Industrie, Bauwirtschaft, Transport, Kommunikation und Handel) im vergangenen Jahr gegenüber 1989 um ein Viertel.

Zu den Verlierern der Umstellung gehören die ArbeitnehmerInnen, deren Einkommen weit hinter der Preissteigerung zurückblieben. Die Reallöhne und Renten sanken in Polen durchschnittlich um 34 beziehungsweise 23 Prozent. Etwa 40 Prozent der polnischen Familien gehören nach den Zahlen des CUS mit einem monatlichen Pro-Kopf-Einkommen von umgerechnet 70 Mark und weniger zu den amtlich anerkannten Niedrigverdienern.

Dennoch ging der Lebensmittelverbrauch nur wenig zurück. Um den Standard aufrechtzuerhalten, mußten polnische Normalverbraucher allerdings die Hälfte (ArbeiterInnen) oder sogar 60 Prozent (RentnerInnen) des Einkommens für Essen und Trinken aufwenden.

Ausgenommen von der Rezession waren die zum Teil neu gegründeten Privatfirmen. In den Privatbetrieben wuchs sogar die Zahl der Beschäftigten um 27 Prozent, während die Zahl der Arbeitslosen in ganz Polen von rund 50.000 im Januar 1990 auf über 1,1 Millionen im Dezember anstieg.

Der private Handel erlebte — völlig gegen den Trend — einen regelrechten Boom. So ging der Gesamtwert der im Einzelhandel verkaufter Waren im Vorjahresvergleich auf rund 87 Prozent zurück, doch traf dies ausschließlich den staatlichen und genossenschaftlichen Handel. Private HändlerInnen verkauften dagegen 4,5 mal mehr als 1990. Sie waren es auch, die am meisten vom Exportboom profitierten.

Aufgrund der geringeren Binnennachfrage und des besonders am Jahresanfang günstigen Zloty-Kurses erhöhte sich der polnische Export insgesamt um 17 Prozent, doch die privaten Händler konnten gleich dreimal soviel wie 1989 ins Ausland verkaufen. Noch deutlicher ist der Unterschied beim Import, der landesweit auf 88 Prozent zurückging, während die Privaten sechsmal soviel importierten als zuvor.

Hier liegt auch der Grund für den Binnenhandelsboom der Privaten: Weil der Dollar/Zloty-Kurs das ganze Jahr gleich gehalten wurde, die polnische Inflation aber permamenent anstieg, nahm die Kaufkraft der polnischen Löhne, gemessen in ausländischen Währungen, zu. Importwaren wurden so für die KonsumentInnen billiger, was zu einer Konkurrenz zwischen polnischen Erzeugnissen und Importwaren führte. Besonders drastisch zeigte sich das bei Lebensmitteln. Polens Landwirtschaft, die heute praktisch nicht mehr subventioniert wird, geriet im Laufe des Jahres 1990 gegenüber den hochsubventionierten Import-Erzeugnissen aus der EG immer mehr ins Hintertreffen. Deshalb war im Dezember EG-Butter um mehr als zehn Prozent billiger als die polnische.

Im vergangenen Jahr kündigten sich bereits die Belastungen für Polens Volkswirtschaft an, die 1991 voll durchschlagen werden. Zum einen der Golfkrieg, der Polen nach Schätzungen des zentralen Planungsamtes bereits im Januar 500 Millionen Dollar zusätzlich an Kosten aufbürden wird, zum anderen die Umstellung der RGW-Verrechnung auf Dollar.

Geschätzte dreihundert Millionen Dollar pro Jahr hat Polen nach nicht dementierten Presseberichten an Waffenlieferungen in den Irak verdient. Die Angaben der offiziellen Statistiken liegen allerdings weit darunter. Öl ist in den letzten Jahren das einzige Importgut Polens aus dem Irak gewesen, mit dem dieses Land die polnischen Waffen bezahlte. Doch kaum begann das Öl zur Schuldentilgung zu fließen, begann die Krise am Golf mit dem Einmarsch Iraks in Kuweit. Für 500 Millionen Dollar sollte der Irak laut 'Gazeta Wyborcza‘ Öl liefern, das nun in den stillgelegten Pipelines steckengeblieben ist.

250 Millionen Dollar werde Polen durch die Sanktionen in diesem Jahr einbüßen, schätzen Fachleute, dabei sind 150 Millionen an Ölabzahlungen für Waffenlieferungen nicht mitgerechnet. Denn nach der offiziellen Statistik machten Bauarbeiten 17 Prozent des polnischen Exports in den Irak aus. 3.000 Spezialisten aus Polen arbeiteten bis zur Krise im Irak, einige Hundert in Kuweit.

Nach Expertenschätzungen wird sich der Ölimport, auch durch die Umstellung auf Dollar, im kommenden Jahr um 600 bis 700 Millionen Dollar verteuern. Bisher waren Rohstofflieferungen innerhalb des RGW verrechnet worden. Nun gelten Dollarpreise.

Das Handelsvolumen mit RGW- Ländern wird in Polen wegen der Umstellung um rund 40 Prozent zurückgehen, Polen wird dann ein Handelsbilanzdefizit von zwei Milliarden Dollar verkraften müssen. Mit zahlreichen Konkursen von Betrieben, die bisher fast ausschließlich in die UdSSR lieferten, wird gerechnet.