: Schnell die Spielregeln begriffen
■ Ex-Innenstadtrat Thomas Krüger (SPD Ost), Senator für Jugend und Familie, ist der Benjamin im Kabinett Diepgen/ Profilierter Anti-Stasi-Kämpfer und Rezitator von Kurt Schwitters Ursonate
Berlin. Sein Bart ist noch dran. Als die SPD-Fraktion des Abgeordnetenhauses vor einem Jahr zum Neujahrsempfang in die Philharmonie lud, wollte König Momper dem Knappen Krüger nur ein Bier ausgeben, wenn er sich zuvor das Gezausel aus dem Gesicht entfernen ließe. Doch das Gründungsmitglied der SPD in Ost-Berlin pfiff auf die westliche Etikette — in den Hofstaat wurde er wenig später trotzdem aufgenommen. Thomas Krüger, 31 Jahre jung und trotzdem ministrabel: Der linke Sozi, der aus dem Osten kam, ist der Shooting-Star im Kabinett Diepgen.
Doch ganz so einfach war das für ihn nicht, schließlich doch auf dem Posten des Senators für Jugend und Familie zu landen. Der abgebrochene Theologe Krüger, der kein Abgeordnetenhausmandat erhielt, schwebte nach dem Wahl zum ersten Gesamtberliner Parlament am 2. Dezember zunächst in der Luft. Als die neue SPD-Fraktion in dieser Woche ihre SenatorInnen nominierte, schnitt er am schlechtesten ab. Genosse Krüger, so wünschten es sich viele, solle erst einmal weitere »Erfahrungen« sammeln, bevor er die SPD auf einem solchem Posten repräsentiere. Dahinter verbirgt sich ein Ost-West-Konflikt. Während Westberliner Sozialdemokraten, die was werden wollen, die Ochsentour (gaaanz langsam hocharbeiten) machen müssen, schafften es viele Ostler binnen kürzester Zeit an die Spitze. Die Neulinge hatten deshalb nicht nur Freunde. Tino Schwierzina fiel dieser Parteiräson zum Opfer — spätestens als Momper und Staffelt erklärten, sie stünden für einen Senatsposten nicht mehr zur Verfügung, war auch der Rosenzüchter abgemeldet. Sein Absturz hing unter anderem mit der Tatsache zusammen, daß Schwierzina das ordentliche Abschneiden der Ost-Sozis bei den Gesamtberliner Wahlen zu oft an die große Glocke hängte. Das kränkte nicht wenige West-Sozis, die darauf verwiesen, daß auch sie fleißig Plakate geklebt hätten. Krüger hatte die Spielregeln dagegen begriffen; er hing sich schon vor den Wahlen, als er noch den Job des Ostberliner Innenstadtrates bekleidete — beispielsweise bei der Räumung der Mainzer Straße —, nicht mehr groß aus dem Fenster und wartete ab.
Über Berlin hinaus bekannt wurde Krüger, als er sich im Sommer 1990 zusamen mit seinem Westberliner Kollegen, Innensenator Erich Pätzold (SPD), regelmäßig mit DDR- Innenminister Diestel anlegte. Während Krüger bald das Image des wahren Anti-Stasi-Kämpfers innehatte, wurde Diestel immer stärker die Rolle des »Vertuschers« angehängt. Tatsächlich hob sich Krügers Stasi- Auflösungs- und Enthüllungspolitik sehr wohltuend von der anderer DDR-Politiker ab. Manchmal schoß er aber übers Ziel hinaus — beispielsweise als er noch intakte Stasi-Strukturen in den Berliner Bezirksämtern vermutete, die sich im nachhinein als harmlose Telexkommunikation herausstellte. Sein Verdienst bleibt trotzdem, einer der wenigen gewesen zu sein, die in Sachen Staatssicherheit die richtige Balance zwischen offener Diskussion und hartem Durchgreifen gefunden haben. Das war solange möglich, wie Krüger sich zum einen an Diestel abarbeiten konnte und zum andern realen politischen Einfluß hatte. Nach der Wahl am 3. Oktober fiel beides weg: Diestel war in Brandenburg, und Pätzold übernahm die Regie im Innenressort für ganz Berlin.
Thomas Krüger wäre gern auch Kultursenator geworden. Dieses Mal jedoch hat's für den Dada- Freund, der in Vor-Wendezeiten mit Kurt Schwitters Ursonate durch DDR-Jugendklubs getingelt ist, noch nicht für den Lieblingsposten gereicht. Krüger ist ein Teamarbeiter, er versteht sich als erster unter gleichen. Der Berliner Jugend- und Familienpolitik, die unter Anne Klein kaum stattgefunden hat, kann das nur guttun. Auch daß ein gebürtiger Ostler diesen Job übernimmt, ist zu begrüßen. Denn die jugendpolitischen Probleme sind in Berlins East Side sehr viel schwerwiegender als im Westen: Arbeitslosigkeit und Rechtsradikalismus sind nur zwei von vielen Stichworten. Nur das Gezausel müßte jetzt ab. Denn die Jugend von heute steht wirklich nicht auf Bärte. ccm/ger
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