Eine Definition der Tragödie

■ „Hurenglück“, So., 27. Januar, 20.15 Uhr, ZDF

Eva (Angelica Domröse), eine sympathische Frau Anfang vierzig, lebt seit zwanzig Jahren in einer idyllischen oberbayerischen Kleinstadt. Sie ist unverheiratet. Ihr Kontakt zu Männern ist höflich aber distanziert. Grosser (Kurt Weinzierl), Leiter des Kirchenchors und Besitzer eines Schreibwarengeschäfts, ist in Eva verliebt, jedoch ohne Hoffnung auf Erfüllung. Ihre ganze Fürsorge widmet Eva ihrem geistig behinderten Sohn Oliver (Marco Hofschneider).

Eines Tages fährt vor Evas bescheidenem Häuschen ein protziger Jaguar vor. Heraus steigt ein zwielichtiger Bursche, den Eva leider allzugut aus vergangenen Zeiten kennt. Hager (Hilmar Thate) ist ein gestrandeter trunksüchtiger Zuhälter, der gekommen ist, um von Eva, seinem einstmals besten „Pferd“ im Stall, eine größere Geldsumme zurückzufordern, mit der sie vor zwanzig Jahren durchgebrannt ist. Nie hat Eva ernsthaft daran gedacht, daß Hager sie wiederfinden würde. Nun hat die Vergangenheit sie doch eingeholt.

Als Eva sich weigert, auch nur einen Pfennig zurückzuzahlen, nistet sich Hager bei ihr ein. Mit sadistischer Inbrunst terrorisiert er Eva, indem er androht, ihre bürgerliche Existenz durch öffentliche Preisgabe ihrer Vergangenheit zu zerstören. Als er dazu übergeht, den Jungen als Druckmittel einzusetzen, spitzt sich die Lage zu.

„Hurenglück“ ist ein mit sparsamen filmischen Mitteln inszenierter Fernsehfilm, der seine drastische Wirkung aus der genauen Zeichnung der Situation bezieht. Geschickt werden die Klippen umschifft, die den Film zur drögen Sozialreportage hätten verflachen lassen. Daß die Ex- Nutte für ihren „amoralisch-unbürgerlichen“ Lebenswandel mit einem Krüppel gestraft ist, funktioniert nicht als Wertung, sondern als Element der Verstrickungen. Da taucht einfach eine miese Type auf und mißhandelt die sympathische Frau mit ihrem Sohn, der erst recht nichts für die Vergangenheit der Mutter kann. Trotzdem quält der Zuhälter die Frau, bis aufs Blut. Ein starkes Stück. Und wir dürfen zuschauen. Um 20.15 Uhr. Ohne altsoziologisch-sozialpädagogische Hintergedanken, weder belehrend, noch belustigend: Unglaublich aber wahr.

„Um Himmels willen!“ echauffierte sich eine TV-Kritikerin nach einer internen ZDF-Vorführung. „Das ist ja nur grausam. Und von Anfang an vollkommen ausweglos. Muß ich mir so etwas anschauen?“ Betroffen lauschte ich der Betroffenheit dieser Dame, die wirklich echt zu sein schien. Da gibt es einmal einen Fernsehfilm ohne das Flächenbombardement der Richard- Claydermann-Musik, in dem die Leute ausnahmsweise keine hölzernen Texte zwischen fabrikneuen Plastikmöbeln aufsagen, und dann rastet die Konsumentin gleich so aus. Andere stimmten ein. So kam der Angesprochene, der verantwortliche ZDF-Redakteur Herbert Knopp, nicht umhin zu entgegnen: „Meine Dame, was Sie da gerade gegeben haben, ist eine exakte Definition der Tragödie.“ Manfred Riepe