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Visionen für unbesetztes Neuland

■ Bildungsminister Enderlein plant für das neue, bisher vernachlässigte Bundesland Brandenburg den Aufschwung durch drei neue Universitäten

Ein Bildungsminister plant für das vernachlässigte Brandenburg den Aufschwung durch drei neue Universitäten.

Von ANJA BAUM

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ach einem Niedergang kommt immer ein Aufstieg. Nach dem Zusammenbruch in der Ex- DDR kann es nur noch besser werden. Vor allem kann man wieder Visionen entwickeln. Der neue Minister für Wissenschaft, Forschung und Kultur im Bundesland Brandenburg tut dies mit wahrer Begeisterung. Er spricht sogar von einem „Neuland“, das es hier zu beackern gilt. Dem Bonner Bildungsministerium durch die ihm angebotene Kandidatur für einen Ministersessel entronnen, will Hinrich Enderlein hier nun endlich seine Träume verwirklichen.

Als man sich im Brandenburgischen, dem einzigen Land ohne Universität auf dem Gebiet der Ex-DDR, noch stritt, ob Potsdam, Cottbus oder Frankfurt/Oder den vielversprechenden Zuschlag, Universitätsstadt zu werden, erhält, machte der SPD- Minister Enderlein der „unfruchtbaren“ Debatte ein schnelles Ende. Noch kurz vor Amtsantritt diktierte er seine Wünsche dem Ministerpräsidenten Manfred Stolpe in die Regierungserklärung: Nicht eine, nicht zwei, sondern drei Universitäten sollen Brandenburg wieder eine Perspektive geben. „Ich gebe zu, das ist ein ehrgeiziges Projekt“, doch die Berater aus dem Wissenschaftsrat liefern ihm die zur Begründung notwendige Statistik. Nach deren Berechnungen ist es verträglich, wenn auf eine Million Einwohner eine Universität kommt. Schließlich könne das Land, so der Minister, nicht das Armenhaus Deutschlands bleiben, nur weil hier zuvor nichts gewesen sei.

Die kühnsten Pläne entwickelte Wissenschaftsminister Enderlein für Frankfurt/Oder. Die Stadt befindet sich heute an der Nahtstelle von West- und Osteuropa. Was sollte hier also anderes entstehen als eine europäische Universität ganz „außerordentlichen Zuschnitts“, wie Peter Wex von der Freien Universität in Berlin es nennt. In solchen Umbruchphasen wie jetzt im Osten Deutschlands seien die Chancen für Universitätsgründungen am größten. Von hier könnten Brücken von West nach Ost geschlagen werden, sieht auch Minister Enderlein in die Zukunft.

Schon Anfang Oktober vergangenen Jahres hatte Peter Wex den Verein der „Freunde und Förderer der Frankfurt/Oder-Universität (Viadrina)“ gegründet, dessen Generalsekretär er inzwischen ist. Nicht nur der europäische Zukunftsblick soll geweitet, sondern auch die jahrhundertealte Universitätstradition der Stadt an der Oder soll in Erinnerung gerufen werden.

Die 1506 in Frankfurt gegründete Universität „Viadrina“ war fast 300 Jahre geistiges und kulturelles Zentrum im Osten Deutschlands. Die Brüder Humboldt, Thomas Müntzer und Ullrich von Hutten lehrten hier. Carl Philipp Emanuel Bach, der Rechtsbeistand Martin Luthers auf dem Reichstag zu Worms, und der Freund Kopernikus', Jan Rak, prägten Wissenschaft und Politik im Kurfürstentum Brandenburg. Die Juristen der Viadrina beispielsweise hatten erheblichen Einfluß auf das preußische Staatsrecht.

Von dem damals errungenen Aufschwung der für Reformen bekannten Frankfurter Universität ziehen die Initiatoren des heutigen Projektes gern Paralellen zur Gegenwart. Denn mit einer Universität würde sich die zum Militär- und Beamtenstandort degradierte Oderstadt wieder sehen lassen können. Das Leben in der Stadt wäre nicht mehr, wie Heinrich Kleist es beschrieb, „karg, stumpf und trübe, wie im ganzen Königreich“. Allerdings sah Kleist Frankfurts Viadrina zu Zeiten, als ihre Blütezeit dem Ende zuging. Oft mußte er, dem Bildung als unentbehrlicher Schlüssel für seine sehnsüchtig erstrebte persönliche Vervollkommnung dienen sollte, aus den muffigen Professorenhäusern ins Freie fliehen. Die Wissenschaft, klagte Kleist um 1800, war von „der etablierten Aufklärung zur platten Nützlichkeitsideologie verkommen“.

Heute will man „Terrain für moderne Bildungskonzeptionen“ sein, wie aus der Frankfurter Verwaltungsbehörde zu vernehmen ist. Konkrete Konzepte liegen noch nicht vor, doch hofft man schon in diesem Jahr zum Gründungsakt der Universität schreiten zu können. Die klassischen sozial- und geisteswissenschaftlichen Fächer sowie die Naturwissenschaften mit Vorzug auf Physik und Chemie, Forstwirtschaft, Ökologie und Medizin werden vertreten sein. Wirtschaftswissenschaften sollen insbesondere auf den osteuropäischen Markt ausgerichtet sein, Oststudien und Sprachen sollen das Profil der Universität prägen.

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ritische Stimmen jedoch fragen schon jetzt, wo man 10.000 StudentInnen in der infrastrukturell schlecht ausgestatteten Stadt unterbringen will. Unklar bleibt auch, wo sich die Universität ansiedeln wird. Das frühere Universitätsgebäude überlebte zwar beide Weltkriege, wurde aber von den DDR-Behörden dem Verfall preisgegeben und 1962 gesprengt. Bei der Finanzierung des Projektes hofft Minister Enderlein auf die Beteiligung der europäischen Staaten, die auch Lehrstühle und Studienplätze an der „Begegnungsuniversität“ erhalten sollen. Natürlich soll auch der Bund Geld zuschießen, dafür jedoch muß sich Enderlein die Zusage in Bonn erst einholen. Ob er die für alle drei Hochschulen erhalten wird, ist fraglich. Aber in Potsdam und Cottbus kann zumindest auf bereits Vorhandenes zurückgegriffen werden.

Die frühere Pädagogische Hochschule und jetzige Landeshochschule in Potsdam erweiterte ihr Programm, indem alle pädagogischen Fachrichtungen jetzt auch als Diplomstudiengänge zu absolvieren sind. Ein Recht, das schon in der Gründungsurkunde von 1948 festgeschrieben worden ist, aber nach der Hochschulreform 1969 und auch später bewußt von der DDR- Bildungsministerin Honecker eingeschränkt wurde. Die Brandenburgische Landeshochschule übernahm rund 500 StudentInnen der Rechtswissenschaften von der „abgewickelten“ Hochschule für Staat und Recht. Für diesen in Gründung stehenden Fachbereich wurden der Dekan und 15 weitere Juristen aus dem Partnerland Nordrhein-Westfalen eingeflogen. Auch die Finanzierung übernahm der Westpartner. „Die sind sehr nett zu uns“, erzählt der 1. Prorektor Gerhard Kempter stolz und verweist darauf, daß in Potsdam die Juraausbildung inzwischen genausogut läuft wie in den Altbundesländern. Für die übernommenen PolitologiestudentInnen, früher Studiosi des Marxismus/Leninismus, erwartet der Prorektor ähnliche Hilfe aus dem Westen, denn von den bisherigen Lehrkräften „glauben wir, diese nicht übernehmen zu können“.

In Cottbus hofft die bisherige Ingenieurhochschule für Bauwesen den Status einer Technischen Universität zu erlangen. Neue Studiengänge wie Umwelttechnik, Umweltschutz, Elektrotechnik und Architektur sowie — durch Angliederung einer pädagogischen Fachschule — auch Sozialpädagogik wurden eingeführt. Minister Enderlein, der hier auch eine TU sehen will, beschwichtigt aber die Hoffnungen der Cottbusser insofern, als erst einmal die Empfehlungen der Evaluierungskommission des Wissenschaftsrates abzuwarten sind. Die Hochschule, so Siegfried Möbius aus dem Rektorbüro, möchte sich als „Keimzelle für die dringend notwendige Entwicklung der Wirtschaft“ verstehen. Wenn sie nicht lukrative Ausbildungsangebote offerieren würden, müßten immer mehr junge Menschen an die hoffnungslos überfüllten West-Unis abwandern und würden damit der Region für den Aufschwung verlorengehen.

Kein Problem scheint für Wissenschaftsminister Enderlein die Personalfrage zu sein. „Wenn ich nicht immer die Einschränkung mit den Finanzen machen müßte, könnte ich mich vor Interessenten überhaupt nicht retten“, sagt Enderlein und meint die auf attraktive Lehrstühle lauernden Professoren aus den West-Unis. In solchen Bereichen wie Wirtschafts- oder Rechtswissenschaften könne er sich nicht vorstellen, mit „den alten Leuten zu arbeiten“. Für die europäische Universität muß exklusive Qualität aus dem Westen her. Finanziell erhofft der Minister die solidarische Unterstützung der alten Bundesländer „in ihrem eigenen Interesse“. Enderlein tritt für eine fachliche Überprüfung aller Lehrkräfte ein, denn „nicht eine Spur eines Zweifels darf bestehen, daß hier nicht vollständig das gleiche Niveau des wissenschaftlichen Standards anderer Hochschulen besteht“. Auch der Schatten der Vergangenheit dürfe dann nicht mehr gegen die Unis ins Feld geführt werden, nur so könnten sie in einen Wettstreit mit den Altbundesländern treten.

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