piwik no script img

Der Putzer vom Kaiser

■ Die Bundesanstalt für Arbeit und Günter Ermlich helfen desorientierten Berufsanfängern, hilfesuchenden Arbeitslosen und engagierten Existenzgründern bei der Berufswahl

Die Bundesanstalt für Arbeit und

GÜNTER ERMLICH helfen desorientierten Berufsanfängern, hilfesuchenden Arbeitslosen und engagierten Existenzgründern bei der Berufswahl.

P

reisfrage: Was ist ein Absetzer? Ein Abwäger oder ein Austeiler? Ein Abschreiber oder ein Ausschreiber? Ein Pfeilerrücker, Schlammzieher, Knüppelaussucher? Keine Ahnung? Dann ist es hohe Zeit, das Systematische und alphabetische Verzeichnis der Berufsbenennungen der Bundesanstalt für Arbeit zur Hand zu nehmen. Von A wie Aufreißer bis Z wie Zungenarbeiter sind in diesem heiteren Berufe-Abc alle möglichen und anscheinend unmöglichen Berufsbezeichnungen sorgfältig zusammengestellt und lückenlos aufgelistet. Mehr als 22.000 Berufsbenennungen enthält diese fingerdicke Fleißarbeit. Vor allem desorientierte Berufsanfänger, hilfesuchende Arbeitslose und engagierte Existenzgründer finden hier eine unerschöpfliche Fundgrube für kommende Aufgaben.

Beim Durchblättern des Verzeichnisses wird unsere Phantasie hochgradig angeregt. Wir tauchen in ein Mysterium bisher noch unerforschter Berufswelten ein. Der geneigte Berufsdurchforster wird sich leicht irritiert fragen müssen, was sich wohl hinter einem Abspecker verbergen mag? Ein Diätassistent oder eher ein Klinkenputzer von den Weight-Watchers? Was ist ein Pumpauf? Vielleicht ein professioneller Lufteinführer in Fahrradpneus? Verdingt sich ein Ausputzer als fußballtretender Ahnherr vom Libero- Franz (der Putzer vom Kaiser), wandelt ein Aufschläger als Berufstennisservierer auf den Spuren vom Bobele Becker?

Die Qual der Berufswahl ist unermeßlich groß: Soll man eher die Karriere des Eierdurchleuchters ansteuern als die des Ei-Erleuchters? Ist die passive Tätigkeit eines Bunkergastes gesellschaftlich genauso wertvoll wie des aktiv gestaltenden Bunkerfüllers? Sind der Stripper und der Dirn (sic!) kontemporäre Ausprägungen maskulinen Nachtlebens? Wie steht es um das Verdienstgefälle zwischen Barschankmädchen und Milchmädchen? Gibt es qualifizierte Weiterbildungsmaßnahmen des Spanners, so daß er sich zum Strichphotographen hocharbeiten kann?

Fragen über Fragen. Ungereimtheiten und Unklarheiten. Ein verwirrendes Berufelabyrinth. Nicht deutlich wird, ob der Dosenschließer und der Dosenöffner sich ausschließende oder ergänzende Tätigkeitsbereiche darstellen, ob der Knotenfänger ebenso zum fangenden Gewerbe zu zählen ist wie der Fliegenfänger. Ist der Klappenschläger in der Filmbranche beheimatet? Hat der Regenwart sich etwa berufsmäßig um das Naß von oben zu kümmern? Wartet er also auf den Regen, oder wartet er nur den Regen? Ist der Blaumacher in der feinen Situation, keiner geregelten Arbeitszeit nachgehen zu müssen und in seiner Zunft die Spezies der Schwarzarbeiter zu finden?

D

as umfangreiche Berufealphabet — hier war in der Bundesanstalt für Arbeit unter Garantie ein ganzer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme-Mitarbeiterstab von kreativen Berufsbenennungsbastlern am Werk — hält die ganze Palette vom Tellerwäscher bis zum Bankdirektor für den Berufssucher bereit. Selbst zwielichtige Aktivitäten erhalten hier ihre nachträgliche Anerkennung und offizielle Aufwertung: Ausbrecher, Hofgänger, Rammer, Zuschläger, Ripper, Knochensäger und so weiter und so fort. Alles ehrenwerte Berufe. Tatsache!

Die Erklärungen in Klammern und Berufsklassenumerierungen — Beispiel: „Hausierer = ambulanter Händler, Berufsklasse: 6881“ — bleiben meist nebulös und sind wenig sachdienlich. Sollen wir dem Berufsverzeichnis wirklich Glauben schenken, wenn allen Ernstes die Tätigkeiten der Totenfrau (Zugehfrau für Verstorbene?) und des Friedhofsschaffners (kann man bei ihm die Tickets ins ewige Paradies lösen?) als „gesundheitssichernde Berufe“ klassifiziert werden?! Und muß der Kadaververnichter dann zur Tat schreiten, wenn Degenschlucker und Schlangenmenschen ihren Job nicht mit der personengemäßen Obhut zu Leibe gerückt sind?

9911: Hier haben auch die Berufsbenennungskünstler ihre Grenzen gefunden. Was nun sprachlich partout nicht näher in ein Berufskorsett zu zwängen ist, muß mit dem schnöden „Berufstätiger o. n. T.“ vorliebnehmen. Der Klammerausdruck wird da auch nicht viel deutlicher: „Arbeitskräfte ohne nähere Tätigkeitsangabe“. Also verkappte Arbeitslose? Das, was in den neuen Bundesländern vierzig Jahre lang so gang und gäbe gewesen sein soll?

Im Zweifelsfall jedenfalls sollte man/ frau sich vertrauensvoll an den nächsten Arbeitsberater wenden. Er kann mit Sicherheit über die aktuellen Boom-Berufe auf dem Arbeitsmarkt Zeugnis ablegen: Automatensticker, Buchstabenklempner und Hochzeitsbitter als männliche Job- Domänen, Köderinnen, Kleiderablegerinnen und Stundenmägde als weibliche Berufshits der neunziger Jahre.

M

it diesem Berufskompendium in der Hinterhand wäre Quizmaster (Berufsklasse 8328) Robert Lembke — wenn er nicht gestorben wäre — mit seinem TV-Dauerbrenner Was bin ich? vorerst nicht so leicht arbeitslos geworden: Wir hätten uns doch so darauf gefreut zu sehen, welche typischen Handbewegungen der Rindviehkontrollbeamte oder der Schweineleistungsprüfer pantomimisch in die Luft gezaubert hätten! Gespannt wären wir auch gewesen, wie der Guido und die Marianne, der Hans und die Annett' die harten Nüsse geknackt hätten, den Absatzschwaller oder den Extradoppeleinflyer, den Backenmesserausmacher oder Kollergangzerfaserer, den Strandkorbgelderheber oder Blumenzwiebelkulturarbeiter mit ihren so herrlich gestelzten „Gehe-ich-recht-in-der-Annahme?“- Fragen aus der beruflichen Reserve zu locken.

Wir wollen nicht ungerecht sein. In einigen Fällen werden in der Bundesanstalt-für-Arbeit-Fibel in Klammern Erklärungen abgegeben, die tatsächlich zur Aufhellung im Dunkel der so phantasievollen Berufsbezeichnungen beitragen. Gut zu erfahren, daß ein Entspannungsbediener sich der Herstellung von Flachglas widmet und ein Bockhalter sich der Tierzucht verschrieben hat. Ein Ringassistent ist — wer hätte das gedacht! — ein Agraringenieur, während ein Collaborator — auch das dürfte weitgehend unbekannt sein — zur Kategorie der Seelsorger zu rechnen ist. Nichts zu deuteln hingegen gibt es daran, welchen grundsoliden handwerklichen Tätigkeiten Abziehbilderanbringer, Fahrplanplaner und Mundharmonikazusammensetzer tagtäglich nachgehen.

Die außergewöhnliche Fleißarbeit der Bundesanstalt für Arbeit hat nicht nur mit größter Akribie notiert, welche Berufe es gibt, nein, für einige mußte erst einmal ein Name aus der Taufe gehoben werden. Man stelle sich vor: Hinter der kalten Fassade eines gigantischen Verwaltungsgebäudes sitzt ein Beamter der „Arbeitsgemeinschaft Berufsklassifizierung“ und denkt sich Berufsbezeichnungen aus. Ein stiller Hauch von Poesie muß über seinem Schreibtisch wehen. Für seine Profession wollen wir die Bezeichnung „Schreibtischpoet“ reservieren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen