Yuppies und Hippies

Woodstock (8. Kriegstag) — Woodstock, Ort friedlicher musikalischer Legenden. 6.000 Einwohner; im Sommer, mit den Wochenendhausbesitzern aus New York City, sind es über 20.000. Doch die saisonale Yuppie-Invasion hält mit ihrer Kaufkraft jene Künstlerszene am Leben, die sich hier schon seit Beginn des Jahrhunderts zusammenfindet: Goldschmiede, Batikmaler, Poeten und Folkmusiker. Die „arbeitende“ Bevölkerung wohnt abseits der mit Boutiquen und überteuerten Restaurants bestückten Hauptstraße, draußen in ihren Trailers und aufgebockten Riesenwohnwagen. „Wir leben hier in Woodstock“, so sagt Sarkis Simonian von der „Bürgermobilisierungsgruppe für Frieden und sozialen Fortschritt im Mittleren Osten“, „auf einer fortschrittlichen Insel im uns umgebenden Meer des Konservatismus.“

Mit vier Freunden hatten sie Anfang August ihre Friedensgruppe gegründet. Ende September kamen 400 Leute zum Benefizkonzert. Und im Januar platzte das kleine Rathaus beim bestbesuchten Town-Meeting aller Zeiten beinahe auseinander. Yuppie-Juristen und Ewig-Hippies formten eine breite Koalition, die Woodstock zur „golfkriegsfreien Zone“ erklären wollte.

Nur der unsägliche Typ vom örtlichen Müllabfuhrunternehmen, der verbiesterte Distriktrichter und ein lokaler „Zionist“, so erzählt Sarkis Freund, der Dichter und Fotograf Max Schwartz, hätten damals die Resolution knapp zum Scheitern gebracht. Dennoch florierte die örtliche Friedensbewegung weiter.

Sarkis und Max gehören zu deren harter Wurzel. Für sie war der Golfkrieg von Anfang an ein ausgemachtes Spiel ihres Präsidenten. In klassischer Konspirationstheorie listen sie all die Stationen auf dem Weg zum Krieg auf, an denen George Bush die Weichen für einen bewaffneten Konflikt gestellt habe: von den einladenden Bemerkungen der US-Botschafterin in Bagdad bis hin zum abgekarteten Außenministertreffen in Genf.

„Warum? Das sind die sterbenden Zuckungen dieser scheiß Weltmacht“, meint Max. „Die Japaner machen uns doch auf allen Gebieten fertig. Da bleibt uns eben nichts anderes als das Kriegshandwerk als letzter Exportzweig.“

Nicht alle Kriegsgegner gehen so weit. „Die meisten sind einfach nur besorgt und verwirrt“, sagt Perry Teasdale von der 'Woodstock Times‘, einer kommerziellen Alternativzeitung. Geschickt versucht das populäre Wochenblatt den lokalen Brückenschlag zwischen den sonst so getrennten Welten von Mainstream und Alternativ-Amerika.

In der letzten Ausgabe geht es um die Unterstützung der Eltern für ihre disziplinierten Sprößlinge nach deren spontanem Schulstreik gegen den Golkrieg, um die Beeinträchtigung der örtlichen Notfallversorgung durch die militärische Mobilisierung, um den lokalen Kriegsdienstverweigerer und eine Blutspendeaktion für die Truppen am Golf. „Mit einer solchen Berichterstattung“, so Perry Teasdale nicht ohne Stolz, „erreichen wir sogar konservative Leser.“ Das Wahrzeichen Woodstocks, die Taube auf dem Gitarrenhals, scheint selbst 20 Jahre nach dem „Sommer unseres Lebens“ noch ihre friedensstiftende Wirkung zu tun.

Nur letzte Woche, bei der dienstäglichen Dichterlesung im „Woodstock Cafe“ kam es innerhalb der Friedensbewegung zu einem Eklat. Nach einer ganzen Litanei antiimperialistischer Friedenslyrik platzte dem jüdischen Kneipenbesitzer einfach der Kragen. Dafür wollte er als Unterstützer Israels seine Bühne nun doch nicht hergeben. „Zensur“, schrie da Max Schwartz, ebenfalls Sohn jüdischer Eltern, und außerdem, so rutschte es ihm heraus: Was ihn angehe, könne Israel ruhig vom Erdboden weggebombt werden. „Das Publikum“, so erzählt Bernie, der an diesem Abend hinter der Theke stand, „war nur sprachlos, so sprachlos wie über den Krieg.“

Doch der Streit, kennt Bernie seine Woodstocker Szene, werde bald wieder beigelegt sein. Am Sonntag in aller Herrgottsfrühe, da ist sich auch Organisator Sarkis sicher, werden alle 94 Leute, die sich für die Fahrt zur nationalen Golfkriegsdemo nach Washington angemeldet haben, wieder vor der kleinen weißgestrichenen Kirche auf dem Marktplatz von Woodstock stehen. Rolf Paasch