Frankreichs Position im Maghreb wird problematisch

Vor allem in Marokko und Algerien geraten Franzosen und andere Europäer zunehmend unter Druck/ Francois Mitterrand wird seine Mittlerposition nicht abgenommen  ■ Aus Paris Oliver Fahrni

Was der 53jährige Stromwerkbeamte Abdelkadr Kadouhi meinte, als er am Montag in Casablanca (Marokko) ein Messer nahm und zwei französische Entwicklungshelfer zum Tode beförderte, konnten uns die zuständigen Autoritäten nicht erhellen. Marokkaner und Franzosen hielten sich an die gute alte Methode, den inopportunen Mörder als gestörten Einzeltäter abzutun. Vergebliche Müh': Die 60.000 Seelen starke westliche Gemeinde im Maghreb (vorwiegend Franzosen) sah sich sofort in ihrer Angst bestätigt, der Krieg des Okzidents gegen den Araber Saddam Hussein werde in From von Europäerhaß, blutigen Racheakten oder gar Attentaten auf sie zurückschlagen. Die „Lyonnaise des Eaux“, bei der die Gemordeten im Brot standen, erwog sofort den totalen Rückzug aus Marokko. Französische Versicherungen stuften den Maghreb zur „Risikozone“ um. Und einige hundert Europäer zogen diese Woche ab. Daß sich der erste Zwischenfall in Marokko ereignete, ist kaum ein Zufall: König Hassan II. hatte jede Pro-Saddam-Demonstration mit der Drohung erstickt, er werde sofort das Kriegsrecht verhängen. Nebenan, im betont islamischen Mauretanien, riet die Sicherheitspolizei den Europäern, sich im Botschaftsviertel zu sammeln. Seit einer Woche campieren über 1.000 Menschen auf dem Gelände der französischen Botschaft, die über eine ausgedehnte Gartenanlage verfügt. Militär und Polizei zogen einen doppelten Riegel ums heikle Geviert.

Völlig ungehindert bewegen sich die Europäer bislang in Algerien. Die Franzosen haben sich — lange vor dem Krieg — zu „Blockgruppen“ zusammengefunden, die von „Inselchefs“ mit Walkie-talkies geleitet werden. Sie gaben die Losung aus, immer mit vollem Tank zu fahren und gewisse Quartiere, etwa Bab el-Oued, zu meiden. Die Bewegungskreise der Franzosen werden immer enger. Es sei eine Art „Bunkermentalität“, meinte ein Angestellter der Botschaft, der seinen Heimaturlaub in Lille so lange verlängern will, „bis da unten das gröbste vorbei ist. Es ist ein schlechtes Gefühl, daß wir Krieg führen gegen Saddam und dieser Krieg in Algerien von den Menschen als Kreuzzug empfunden wird. Selbst viele meiner algerischen Freunde sind mir jetzt fremd. Von einem Chauffeur wurde ich dieser Tage hart zur Rede gestellt. Wann kommt der Punkt, wo dieser Mann kippt und die Hand gegen mich erhebt? Ich kann nicht wissen, was er denkt.“ Bereits im Oktober riet dem Reporter ein Jesuitenpater algerischer Nationalität, der etliche Bücher zur Begegnung Orient-Okzident verfaßt hat, im Kriegsfalle sofort Fersengeld zu geben. Wieder einmal erscheint der Orient als Terrain vague aller Gefahren. Es stellt sich jene Feindschaft ein, die auftritt, wenn zuviel Faszination und eine alte Liaison im Spiel sind. Der Orient, das sind Mythen und Phantasmen, Bilder von parfümschwerer Wollust und listigen Mordbuben. „Beim ersten Blutspritzer aber“, hat der Orientalist Thierry Hentsch notiert, „versinkt der Orient im Sumpf unserer Angst.“

Tatsächlich ist der Ton bei den zahlreichen Demonstrationen für den irakischen Feldherrn im Maghreb immer antifranzösischer geworden. Mitterrands taktische Friedensinitiative in letzter Minute, mit der sich der Präsident die arabischen Türen offenhalten wollte, wurde schnell als Finte entlarvt; Algerier, Marokkaner und Tunesier haben ein historisch geschärftes Gespür für westliche Kriegsarroganz und französisches Lavieren. Reporter und Touristen werden mit Vehemenz befragt, eingekreist, in heftigen Disput verwickelt, auch schon mal bedroht.

Kommt der Reisende nach Algier, muß er sich rüderen Konfrontationen stellen. Hier ist der Befreiungskrieg gegen die Franzosen, der zu Beginn der 60er Jahre über eine Million Tote forderte, an jeder Straßenecke präsent. Französische Kultur und Sprache sind zum symbolischen Schlachtfeld der radikalen Islamisten geworden — „Demokraten“, Sozialisten und Kommunisten werden öfters als „Hizb Franca“, „Partei Frankreichs“, angegriffen. Verschärft wird das Phänomen durch die französischen TV-Stationen, die hier fast jeder Haushalt per Parabolantenne empfängt. Bislang waren die Sender ein offenes Fenster zur Welt. Jetzt sehen die Maghrebiner ein französisches Fernsehen, das sich in tumber Willfährigkeit in den Dienst der Kriegslogik stellt, Selbstzensur übt, lieber Generäle denn Orientkenner zu Wort kommen läßt und mit frivolem Tambourengedröhn arabische Sensibilitäten verletzt. „Ihr treibt ein War-game mit arabischem Blut“, schrie ein Demonstrant den Korrespondenten von Antenne 2, der zweiten französischen Senderkette, entgegen. Der TV-Mann wurde wenig später zusammen mit zehn Journalisten des Landes verwiesen.

Die Spannung wächst mit jedem Kriegstag. Eilendst depechierten die Franzosen den Generalsekretär des Quai d'Orsay, Francois Scheer, in den Maghreb mit der Doppelmission, die französische Position zu transportieren und sich gleichzeitig zu versichern, daß den Landsleuten nichts geschehe. Für den äußersten Fall haben die Franzosen vorgesorgt. Lange vor dem Krieg schon probten sie mit zwei Flugzeugträgern die Evakuierung. Code-Name: „Irrwisch“.