Nicht zu brahmsen

■ Begeisternd: Andras Schiff mit Mammutprogramm

Mit einem sehr überzeugend konzipierten Programm gastierte am Freitag der weltbekannte Pianist Andras Schiff in der Glocke. Werke alter Meister (Bachs 5. Französische Suite und Händels „Präludium, Air und Variationen“ B-Dur) standen neben den „Bach-Variationen“ von Max Reger und den „Händel-Variationen“ von Johannes Brahms. Zu Beginn stellte Schiff seine viel gerühmten Fähigkeiten als Bach-Interpret unter Beweis.

Über Bach auf dem Klavier mag man streiten können, gerät eine Realisierung jedoch so bestürzend überzeugend, verbietet sich das. Da bekam jede Stimme im kontrapunktischen Geflecht ihre eigene Farbe, verrieten Verzierungen eine tiefe Stilkenntnis des französischen Barock (Sarabande). Und die Gigue hört man selten so farbig und spritzig.

Den tiefsten Eindruck des Konzerts machten auf mich Regers „Bach-Variationen“. Das kühne, hoch-virtuose Werk steckt voller Anspielungen und Zahlensymbolik. So verwendet es ein vierzehn Takte langes Thema, das vor der gewaltigen Schlußfuge vierzehn Variationen durchläuft — 14 steht, im Zahlenalphabet verschlüsselt, auch für B-A-C-H (2+1+3+8). Schiff bewältigte die immensen Schwierigkeiten offenbar mühelos und durchlitt sichtlich seine tief durchdachte Interpretation des selten gespielten Werkes.

Mit Händels Variationen knüpfte Schiff an sein Bach-Spiel an; sie würden auf dem Cembalo aber wohl adäquater klingen. Brahms' Variationen über das gleiche Thema folgten „attacca“. Das verblüffte sicher einige Hörer, kam dem Programmkonzept aber zugute.

Der so entstandene Mammutkomplex von 45 Minuten Dauer schien den Solisten gegen Ende etwas zu erschöpfen — der Schlußfuge ging ein wenig „die Puste aus“. Doch der Applaus war langanhaltend und begeistert.

Allerdings ist es beschämend und beleidigend für einen großen, empfindsamen Künstler, wenn Teile des Publikums exodus-artig den Saal verlassen, während der Schlußakkord noch nachklingt — Garderobe hin, Straßenbahn her. Die Zugabe hätten wir gar nicht verdient. Gunnar Cohrs