Katalysator aller Dinge

■ Das Theater im Krieg: Deutsche IntendantInnen diskutieren mit Johann Kresnik

Wohin soll man sich jetzt zuspitzen: Scherf und Kresnik und das Theater im KriegFoto: Jörg Oberheide

Frage: Wenn vielleicht jetzt im Krieg die Welt entzweigeht, was kann da das Theater noch sollen? Mindestens reagieren, sagte Volker Ludwig vom Berliner Grips-Theater: „Aber der Betrieb ist so verrottet, wie ich befürchtet hatte. Hans Kresnik hatte ja alle Theaterleiter des deutschsprachigen Raums eingeladen, und, schaun Sie, wir paar Hanseln sind gekommen.“

Auf der Bühne des Theaters am Goetheplatz hocken am Samstag abend bloß eine Handvoll zugereister Theaterleute; umso zahlreicher ist, mit Fragen über Fragen, das Publikum erschienen. Die Mauer-Kulisse vom Tanztheater „König Lear“, kurz zuvor aufgeführt, ist noch bestäubt mit styropornen Schneeflocken, da erwägt Johann Kresnik, er hätte vielleicht besser „Riesenhaufen Scheiße“ auf die Bühne gebracht oder sonstwas, „daß alle kotzen“; jedenfalls wird er „noch aggressiver, noch genauer, noch schärfer werden müssen“, sagt er, „da doch offenbar zwanzig Jahre Arbeit nichts bewirkt haben“, siehe die Draußenwelt. Wie weit aber kann, fragt der moderierende Rainer Hoynck, Berlin, das Theater, welches doch lebt von der Vieldeutigkeit der Kunst, wie weit kann es sich zuspitzen und eindeutig werden und noch Theater bleiben?

Das Theater, wenn es auf die Straße geht, ist eben keines mehr, wendet einer aus dem Publikum ein, sondern zerfällt in eine Anzahl Demonstranten, bestenfalls Gaukler. Auch Jürgen Bosse, Intendant in Stuttgart, schlägt vor, solange nicht die Apokalypse hereingebrochen ist, die Arbeit eher noch zu differenzieren. Rudolf Höhn, bremer shakespeare company, ist für das schiere Gegenteil: statt noch und noch Lesungen und Beiprogramm zum Thema besser einen bundesweiten Theater-Generalstreik. Womöglich aber kommt in dem Tatenhunger, den der Krieg so plötzlich hervorgerufen hat, eine lange Auszehrung zum Vorschein. Kresnik spricht einmal das eigentliche Thema des Abends aus: „Wir sind ja alle zusammen langweilig geworden.“ Was auch heißt: unpolitisch. „Und jetzt“, fragt er, „weiter die Lustige Witwe? Oder neue Stücke in Auftrag geben?“ Es gibt Theater, sagt Volker Ludwig, „die haben immer schon die passenden Stücke gehabt“, und meint, wohl zu Recht, sein Grips.

Und sonst? Vorschläge aus dem Publikum: Das Theater öffnen für Aufklärung, Debatten, Filme (Kirsten Weihe, Schauspielerin). Ferner: Deserteure beherbergen, beschützen (ein Theatermensch aus der gewesenen DDR). Er persönlich nehme ja doch einen auf, ruft Kresnik, der immer unterbricht, „Schnauze!“ brüllt eine aus den Stuhlreihen. Unweigerlich folgen Forderungen, erst einmal den Frieden im Parkett herzustellen.

Sonst wenig Konkretes und viel Eifer. Ohne daß es groß aufgefallen wäre: eine plötzliche Debatte darüber, was ein anständiges Theater sowieso immer zu tun hätte. Der jetzige Krieg dient uns, zeigt sich, als Katalysator aller Dinge. Manfred Dworschak