Blut für Empörung

■ Montagsexperten kommen zu Wort GOLFKRIEG GANZ NACKT UND FOLGENLOS

Das Publikum und seine öffentlichen Fürsprecher murren. Zunehmend ungehalten verlangt man nach Bildern von akkurat zerrissenen Kriegstoten (möglichst zivil) und nach Aufnahmen von verstümmelten Leichen. Die ARD schickt Winfried Scharlau mit professioneller Empörung vor: »Zensur« — die Stimme bebt ein wenig, doch die Augen stieren fest und eindringlich in die Kameralinse. Ein ZDF-Kollege hatte die fehlenden Leichenteile schon tags zuvor im Wahlstudio Hessen gerügt.

Da sitzt man sich nun Stunde um Stunde den Arsch vorm Fernseher ab, und was sieht man? Nichts — gut, da gibt es die vielen Raketen, die durch die Luft fliegen, aber nicht ein einziger Toter mit viel Blut und allem was dazugehört. Die 'Berliner Morgenpost‘ verkauft ihre Enttäuschung nüchtern: »Im Golfkrieg wird durch eine Informationspolitik, die in großem Umfang ‘schöne' Bilder erfolgreicher Bombardements vorsieht, der Eindruck eines ‘sauberen' Krieges vermittelt.« Es ist zum Verzweifeln. In Erwartung der bislang ausgebliebenen Top-Blutbilder hatten Videorekorderhalter auf die Ausleihe von Kriegsfilmen verzichtet. Eine Fehlentscheidung, wie sich jetzt herausstellt. Auch Leserbriefschreiber Stefan Kornatz (Hamburg) ist unzufrieden: »Prognosen des zu erwartenden Grauens finden weitaus weniger Erwähnung als...« (den Rest schenken wir uns).

Auch die sehnsüchtig erwarteten Prognosen des Grauens können über das Manko nicht hinwegtäuschen. SPD-Nahostexperte Schinzel sichtete am Dienstag »zigtausend Tote« allein in Bagdad, andere sprachen von 100.000, wieder ganz andere von 300.000. Damit wurden zwar einige gelungene Grauenprognosen geliefert, aber die unbefriedigenden Zustände auf dem Bildsektor nicht beseitigt. Gerade die etwas desorientierte und allmählich abbröckelnde Friedensbewegung [das hättste wohl gerne! d. säzzer] kann eingedenk der Mobilisierungskraft von Kriegstoten (siehe »Why«-Plakat) nicht mehr lange bilderlos bleiben. Blut (nicht Öl) als Schmiermittel der Bewegung würde die Friedensaktivitäten zu neuen Rekordleistungen treiben. Zumindest schnellte die Antikriegsgedichtproduktion in die Höhe. Man vermißt das gute, alte Vietnam-Gefühl »Erschütterung beim Abendessen«. Hingemetzelte Zivilbevölkerung als Beilage zu Schwarzbrot und Teewurst: Das gab zu denken und zu fühlen.

Die Empörung über die vorenthaltenen Greuel richtet sich insbesondere gegen CNN. Leise gemurmelte Ahnungen sind dem bilderkritischen Publikum längst zur Gewißheit geworden. CNN ist ein Propagandasender. Man ist bloß darüber geteilter Meinung, in wessen Diensten er steht: amerikanischen oder irakischen. Wenn schon keine Raketen auf uns zielen, haben wir es in Deutschland wenigstens mit einer gegen unsere Wahrheitsliebe gerichteten Medienwaffe zu tun. (Darum vielleicht die weißen Kapitulationslaken?)

Wie auch immer: Am Mittwoch hatte der ZDF-Moderator Olaf Buhl Trost parat. Bald schon werde der Bodenkrieg beginnen, »dann wird die grausame Realität des Krieges die aseptischen Bilder ablösen«. Meine Empörungsprognose: Nach der vollzogenen Bilderablösung werden die öffentlich-tätig sensiblen Betroffenheitsträger beginnen, den nekrophilen Voyeurismus der Kameraleute abzumahnen. Krieg ist einfach eine Supergelegenheit, den Weizsäcker in uns zum Sprechen zu bringen. Enno Bohlmann