: Malen zerstört, was ihm vorausging
■ Zur Karel-Appel-Retrospektive in Den Haag
Wer über Karel Appel schreiben will“, stellte in einem Katalogvorwort 1980 Marshall McLuhan fest, „muß sich wie ein Moskito in einem Nudistencamp fühlen: er weiß nicht, wo er anfangen soll.“ Wer Appels meist großformatige und in wildem Impasto bemalten Leinwände ansieht, hat nicht mit wesentlich anderen Problemen zu kämpfen. In Den Haag allerdings helfen den BesucherInnen der großen Appel-Retrospektive die architektonische Gestaltung des Museumsgebäudes und die inhaltliche Konzeption der Ausstellung, behutsamen Zugang zu Appels Werk zu finden. Die Ausstellung wird ab 9.Juni auch in der Kölner Kunsthalle zu sehen sein.
Das „Haags Gemeentemuseum“ in der niederländischen Hauptstadt ist ein großzügiges Gebäude am Rand der Haager Innenstadt. Kleine Kabinette und größere Säle entsprechen der Verschiedenartigkeit der Werkformen Karel Appels mit einer ganzen Palette von Präsentationsformen. „Ich wollt', daß ich ein Vogel wär“, ist der erste und größere Teil der Ausstellung überschrieben, der die zwischen 1948 und 1990 entstandenen Werke des 1921 in Amsterdam Geborenen in großer Übersicht zeigt. Der Eingangssaal der Ausstellung gibt durch verschiedene Durchgänge und Türen Einblick in die nebenan präsentierte Ausstellung afrikanischer Skulpturen unter dem Titel Der stehende Mensch. Appels Werk, oft mit naiver Kunst in Verbindung gebracht, tritt so in einen Dialog mit einer Kulturwelt, der er nahesteht.
1948 hatte der damals 27jährige Karel Appel gemeinsam mit den Dänen Asger Jorn, Carl-Hennig Pedersen und Egill Jacobsen, dem Belgier Pierre Alechinsky und den beiden niederländischen Künstlern Constant und Corneille in Paris die Gruppe COBRA (Copenhagen, Brüssel, Amsterdam) gegründet. Obwohl sie sich in ihrer gemeinsam entwickelten und in der Zeitschrift 'Cobra‘ auch propagierten Kunsttheorie gegen jede dauerhafte Bindung eines für alle Zeiten gültigen Kunststils wandten — „Spontaneität“ war das Schlüsselwort gegen den muffig-naturalistischen und den informellen Akademismus des Nachkriegs-Paris —, entwickelte doch jedes COBRA-Mitglied eine bestimmte Bildsprache mit unveränderlichen Fixpunkten, inspiriert vom Surrealismus, der Folk Art und dem ursprünglichen Expressionismus der Art brut. „Malen besteht darin, das zu zerstören, was ihm voranging“, definierte Appel 1949 in der vierten Ausgabe von 'Cobra‘ sein frühes künstlerisches Selbstverständnis.
In der Haager Ausstellung ist das Frühwerk eher spärlich repräsentiert. Verschiedene Versionen der Fragenden Kinder hängen heute im Stedelijk Museum Amsterdam, in der Londoner Tate Gallery und imCentre Pompidou in Paris. An Schwitters' Merzbilder erinnernd, schauen ausdruckslose, nur durch zwei Augenpunkte und einen Strich als Mund markierte Kindergesichter aus dem Baukastenrelief. Obwohl alle drei Fassungen in erreichbarer Nähe gewesen wären, zeigt die Haager Ausstellung nur die in niederländischem Besitz befindliche. Den AusstellungsmacherInnen ist es aber gelungen, aus allen Schaffensperioden Karel Appels wesentliche Werke zusammenzutragen und so dem Überblicksanspruch einer Retrospektive gerecht zu werden. Im Mittelpunkt steht immer der Mensch — vielfach als mit derben Pinselstrichen auf die Leinwand gespachtelter leerer Umriß, als großes Gesicht mit kreisrunden Augen vor buntem Hintergrund.
Das zuletzt entstandene Werk des Malers und Bildhauers zeigen zwei größere Räume am Ende des Rundgangs. Deutlich farbloser als etwa die großen Bilder aus den sechziger und siebziger Jahren hängen hier zwei mal drei Meter große Leinwände, die einen anderen Karel Appel vorstellen. Die Toskana-Serie von 1990 und die Folge der kraftvollen Frauenakte von 1989 strahlen eine selbstsichere Ruhe aus, die ihren Höhepunkt in zwei fast monochromen Leinwänden findet. Mit schwarzer Farbe auf schwarzer Grundierung hat Appel hier mit sicherer Linie einen blühenden Magnolienbaum bei Nacht und eine schwangere Frau im Dreiviertelprofil in Öl skizziert. Auf die Farbe kann er dabei verzichten. Die Befreiung von der Konvention gelingt inzwischen auch über die Form allein. Stefan Koldehoff
Karel-Appel-Retrospektive: noch bis 1.4.1991 in Haags Gemeentemuseum, Beursplein 1, Den Haag, Tel. 0033/70/3381111 (Katalog: 165 Seiten); ab 9.6.1991 in der Kunsthalle Köln.
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