Israel und der Golfkrieg-betr.: "Ohne Wenn und Aber für Israel" von Ekkehart Krippendorff", taz vom 22.1.91

betr.: »Ohne Wenn und Aber für Israel« von Ekkehart Krippendorff, taz vom 22.1.91

[...] Nach Krippendorffs Ausführungen wird Israel gerade zum Urheber und zum eigentlichen Zentrum des Golfkriegs — eine These, die dem tatsächlichen Geschehen widerspricht und von Saddam Hussein erst spät beschworen wurde, nachdem sein vordringliches Kriegsspiel, die Eroberung der arabischen Erdölstaaten am Golf und in Saudiarabien sich als wenig zugkräftig erwiesen hatte.

Die deutsche Friedensbewegung hat bisher Israel nicht zur Kenntnis genommen, sozusagen totgeschwiegen. Krippendorff bringt das Totgeschwiegene zur Sprache, indem er einseitig den Judenstaat anklagt, eine „arrogante, ja rassistische“ Politik zu betreiben, während das arabische Verhalten, das seit der Gründung Israels 1947 auf dessen Beseitigung abzielt, mit keinem Wort erwähnt wird. Die israelische Politik mag Fehler gemacht haben (wer begeht keine?), aber man wird ihr nicht gerecht, wenn man ignoriert, daß sie stets unter einer Vernichtungsdrohung stand. Die Lage verkennend, glaubt Krippendorff, der Schlüssel zur Beendigung des Golfkriegs liege in den Händen Israels. Notwendig sei der „sofortige Rückzug aus den besetzten Gebieten“. Hier wird außer Acht gelassen, daß die Palästinenser in Westjordanien wie auch anderswo Husseins Vernichtungsparolen und Raketen gegen Israel akklamiert haben. Die Befolgung des Krippendorffschen Ratschlags könnte nichts anderes bedeuten, als Israels prekäre Lage noch zu verschlimmern. Eine Idee, die kaum eines „aufgeklärten Linken“ würdigt ist.

Die Neue Linke in Deutschland hatte sich gegen die Schuld der Väter erhoben, deren späten Philosemitismus angegriffen. Dabei bekundete sie bald Israel gegenüber eine Arroganz, die weniger Kenntnis der Nahostprobleme verriet, als den Versuch, die eigene Befreiung von deutscher Vergangenheit zu erreichen. Doch gerade auf diese Weise begegnete man ihr wieder. Solche Haltung erkennt man auch heute: Keine Solidarität mit Israel, statt dessen massive Anklagen, es sei allein für den Golfkrieg verantwortlich. Wären wir dann schon wieder beim „jüdischen Weltfeind“? Heinz Abosch, Düsseldorf

[...] Die Auseinandersetzung über die Fragen, die durch den Krieg im Nahen Osten aufgeworfen werden, ist wie Sie bemerken, in Deutschland derzeit nur eine verbale, doch scheint es mir um so wichtiger, diese als solche ernstzunehmen. Gestatten Sie mir deshalb, einen Ihrer Sätze, den ich für zentral halte, zu zitieren: „Die (ohnehin ja, wie das meiste, was wir dieser Tage äußern, nur verbale) bedingungslose Anerkennung des Staates Israel als einer aus tragischen, von uns Deutschen wesentlich mitverschuldeten Ursachen entstandenen sicheren Heimat für die verfolgten Juden steht meines Erachtens außer Frage.“

Es geht in diesem Satz nicht um die aktuelle Solidarität mit Israel, sondern um die grundsätzlichere Frage der Anerkennung Israels als Staat. Dieser Satz erfüllt, wenn man so will, in Ihrem Artikel die Funktion der „Vergangenheitsbewältigung“. [...]

Der Staat Israel wird bedingungslos anerkannt, doch diese Anerkennung erfährt der Staat Israel nicht als Staat, sondern als sichere Heimat für verfolgte Juden. Als solche ist der Staat Israel in der Tat entstanden, und zwar, wie sie sagen, durch Ursachen, die wir Deutsche wesentlich mitverschuldet haben. Das Tun der Deutschen liegt also darin, eine sichere Heimat für verfolgte Juden verursacht zu haben. Diese Ursachen nennen sie tragisch, doch was an der Schaffung einer Heimat für Verfolgte ist tragisch? Sie bezeichnen also das Vernichtungsprogramm der Nationalsozialisten als Ursache für die Entstehung Israels. Damit stellen Sie die Logik auf den Kopf. Wenn es eine Ursache für die Entstehung des Staates Israel als einer sicheren Heimat für verfolgte Juden gab, dann ist es doch die Tatsache, daß Auschwitz nicht vollständig „gelungen“ ist. Wenn es in diesem Zusammenhang einen Sinn haben soll, heute ein Deutscher zu sein, Angehöriger der deutschen Nation, muß er auch darin liegen, nie wieder von diesem Geschehen zu abstrahieren.

Israel ist in den von ihm besetzten Gebieten eine Kolonialmacht, seine Armee verhält sich wie eine Kolonialarmee. Das berechtigt in der Tat zu Kritik, wenn auch Ihre Bewertung des palästinensischen Kampfes als „ganz und gar friedlich“ allenfalls für die Intifada, als für die letzten zwei Jahre, zutrifft. Doch die Vernichtung der europäischen Juden durch die Deutschen ist eine davon völlig verschiedene Dimension. Wer als Deutscher Kritik an Israel übt, muß akzeptieren, daß hier besondere Maßstäbe, sowohl die Form, als auch die Glaubwürdigkeit betreffend, angelegt werden. Ihr Artikel wird meinem Urteil nach diesen Maßstäben nicht gerecht. Dies zur vermeintlich subjektiven, „deutschen“ Seite des Problems.

Ausgesprochen prekär wird Ihre Unsensibilität gegenüber dieser Frage allerdings, wenn ihre Analyse der momentanen Situation in die Übernahme arabischer Feindbilder und irakischer Strategien mündet. Sie behaupten, daß „eine radikale Wende in Israel selbst zugunsten einer proarabischen, propalästinensischen neuen Politik“ die Voraussetzung für spätere Lösungen der Konflikte im Mittleren Osten schaffen kann. Es bleibt unklar, ob dies die hinreichende Bedingung, oder nur die notwendige, ob es die einzige notwendige, oder nur eine von anderen notwendigen Bedingungen ist, ob es dabei um alle Probleme des Nahen Ostens geht, oder nur um einige, und wenn letzteres, um welche. Vor allem: Was ist der Anteil Israels an der momentanen Situation im Nahen Osten? Ganz abgesehen davon, daß, wenn heute (22.1.91) Israel die besetzten Gebiete aufgäbe, das alles andere als eine Niederlage Saddam Husseins wäre, ist nach Ihrer Schilderung die Existenz und Politik Israels die reale Ursache der Konflikte im Nahen Osten.

Ich kann Ihnen in Ihrer Charakterisierung von Ursachen und Wirkungen auch hier nicht folgen. Sie verlieren nämlich kein Wort über die Strukturen, die — auch für einen laienhaften Beobachter halbwegs erkennbar — heute in der arabischen Welt herrschen. Sie verlieren kein Wort über die ungeheuren sozialen Unterschiede, die innerhalb der arabischen Welt herrschen, und nur als moderner Feudalismus bezeichnet werden können. Sie sprechen nicht von der prekären Stellung der Frauen, selbst in arabischen Staaten, die eher als westlich-aufgeklärt erscheinen, ebensowenig von der Situation der Intellektuellen und Schriftsteller. Sie sprechen nicht von der offenkundigen Unfähigkeit, öffentliche Verwaltungen anders als durch Korruption aufrecht zu erhalten. Sie verlieren kein Wort über die katastrophalen mentalen, sozialen und politischen Strukturen des islamischen Fundamentalismus. Sie sagen nichts über die Machtstrukturen, wie sie insbesondere Syrien und Irak auszeichnen, und die das Prädikat „faschistisch“ uneingeschränkt verdienen.

Man kann, wenn man will, die Besetzung Kuwaits im Lichte dieser Probleme diskutieren, doch wäre auch das sicher zu kurz gegriffen. Für die arabische Welt und den Islam war die Epoche des Kolonialismus eine ungeheure und bis heute nicht verarbeitete Katastrophe. Bis heute nehmen alte und neue Kolonialmächte im Nahen Osten Einfluß, koloniale Strukturen setzen sich dabei fort, doch ihre Fortsetzung ist auch ein Problem der Kolonisierten. Die arabische Kultur und der Reichtum an Ressourcen setzen die Araber in die reale Lage, ihre Verantwortung selbst zu übernehmen, „arabische Lösungen“ zu finden. Doch offensichtlich befindet sich die ganze arabische Welt in einer ungeheuren Ohnmachtsposition gegenüber ihren Problemen, und man kann seit geraumer Zeit nicht davon sprechen, daß es ernsthafte und machtpolitisch relevante, jenseits von Aufrüstung und Ideologisierung liegende, Versuche ihrer Bearbeitung gibt. Es dürfte offenkundig sein, daß Israel in dieser Situation eine psychologisch wichtige Funktion für die Aufrechterhaltung der Herrschaftsinteressen der arabischen Machteliten erfüllt. Ich will nicht bestreiten, daß Israel diese Rolle zum Teil aktiv spielt, was die Polemik Ihres Artikels begründet. Man kann Ihnen darin in gewisser Weise zustimmen, doch ich hoffe, deutlich gemacht zu haben, worin das eigentliche Skandalon Ihres Artikels meinem Urteil nach liegt. [...] Thomas Kisser, München