Wenn Uncle Sam ruft

■ An den US-amerikanischen Universitäten wird über die drohende Wehrpflicht diskutiert

Middlebury, Vermont (taz) — „Congratulations“ steht auf dem gelben Einladungsblatt geschrieben. „Sie dürfen für ihr Land ihren Dienst ableisten. ...finden sich bitte zur angegebenen Zeit mit Zahnbürste und komfortabler Kleidung für drei Tage am obigen Ort ein.“ Im Munroe Lecture Room von Middlebury College hält Professor David Rosenberg jenes Dokument hoch, das den männlichen 20jährigen in den USA noch in diesem Jahr ins Haus flattern könnte. „Hätten Sie mich vor Wochen nach der Wahrscheinlichkeit einer allgemeinen Wehrpflicht gefragt“, so Rosenberg, „hätte ich dies als unwahrscheinlich abgetan.“ Doch nun hält er die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht nach drei Monaten für durchaus möglich, nach sechs Monaten gar für wahrscheinlich.

Rund 35 Studenten haben sich an diesem Abend zur „Wehrpflicht Beratung“ eingefunden, wie sie der Jurist in diesen Tagen an den Schulen und Universitäten des bevölkerungsärmsten US-Bundesstaates abhält. In seinen ausgebeulten Jeans und Turnschuhen ist der grauhaarige Professor eindeutig das liberale Gewissen der sonst traditionellen und konservativen Privat-Universität.

Middlebury College ist nicht gerade das Zentrum studentischer Anti Kriegsproteste. Hier in der pastoralen Szene zwischen Lake Champlain und den Grünen Bergen von Vermont werden diejenigen Söhne der neuenglischen WASPS (White Anglo Saxon Protestants), die es nicht ganz bis zu den Eliteuniversitäten von Harvard, Yale oder Princeton geschafft haben, für eine Karriere im Auswärigen Dienst oder bei den Geheimdiensten (CIA oder NSA) ausgebildet. Hier rekrutieren auch die Spionagebehörden ihren Nachwuchs im hervorragenden Russisch-Department.

„Wir sind die Generation der Reagan Kinder, die nur ihre Karriere im Kopf hat“, bemerkt Craig, der hier für jährich 20.000 Dollar Germanistik studiert. Er weiß schon lange, daß er den Kriegsdienst verweigerern will und wird sich nach diesem Vortrag nun um seine Papiere kümmern. Ein paar Zeugen für den eigenen Pazifismus und eine auf längere Gewissenskonflikte verweisende Begründung, dann stehen die Chancen auf einen CO-Status (conscientious objector) nicht schlecht. Bloß keine politische Begründung gegen den Golfkrieg, rät David Rosenberg.

Doch politischer Widerstand ist in Middlebury ohnehin nicht zu befürchten. Was denn geschehe, wenn er sich zur Zeit der Einberufung gerade im Ausland befinde, will einer der Studenten wissen. Professor Rosenberg versucht eine unverfängliche Antwort. Selbstverständlich mache man sich strafbar. Aber nach Vietnam, wo nur ein Viertel der Soldaten über die allgemeine Wehrpflicht eingezogen wurde, habe es für bestimmte Wehrdienstflüchtlinge eine Teilamnestie gegeben.

Etwas enttäuscht über die drückebergerischen Fragen der Studenten gibt sich auch ein im Hintergrund sitzender Dozent. Er ist „nur mal vorbeigekommen“, um den von ihrem Gewissen geplagten Studenten seine persönlichen Erfahrungen während des Vietnamkriegs zu vermitteln.

Doch diese scheinen im „Krisenraum“ neben der Cafeteria lieber vor dem Kabelkanal CNN zu hocken als Debatten über das Für und Wider des Golfkriegs zu organisieren. Am Mittwoch abend steht ein psychologisches Betroffenheitsseminar auf dem Programm. Titel: „Wie gehe ich mit der Krise um.“ „Doch wirklich betroffen und vielleicht auch politisch“, so meint der Dozent, „werden die erst mit Einführung der Wehrpflicht werden.“ Seinen Namen möchte er mir gegenüber „besser nicht“ nennen, das führe nur zu Gerede an der Universität.

Und selbst Professor Rosenbergs offenes Auftreten als Berater potentieller Wehrdienstverweigerer entbehrt nicht einer gewissen Ironie. David Rosenberg, so erzählt mir später ein anderer, ebenfalls anonymer Informant, „der macht doch auch Werkaufträge für die CIA“. Rolf Paasch