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Gelüste, schauerlich und süß...

■ Das Ensemble Avance bei Dacapo im Leibniz-Theater

Wieder einmal bot Dacapo in seiner Konzertreihe ein gemischtes Doppel aus Vortrag und Konzert, das am vergangenen Sonntagabend im „Theater am Leibnizplatz“ stattfand. Im Mittelpunkt stand der Auch-Jubilar Arnold Schönberg (115.Geburtstag; 40.Todestag). Ingo Ahmels, Pianist und Dacapo-Initiator, ebnete mit einem Vortrag die beschwerlichen „Wege zur neuen Musik (5)“. Immerhin dreißig Interessierte mochten ihm zuhören, obwohl das schon akustisch nicht leicht war: Für seinen leise und unverstärkt gehaltenen Vortrag saß das Publikum zu weit entfernt. Auch inhaltlich wies Ahmels Referat manch argen Fehler auf, und eine anschließende Reflektion seiner Thesen fand kaum statt.

Am Ende der Einleitung stand die Vorführung einer filmischen Umsetzung von Schönbergs Monodram „Erwartung“ op.17. Die packende Arbeit des Regisseurs Götz Friederich (1989) realisiert den Psychotrip der Protagonistin auf eine Weise, wie dies auf der Bühne kaum gelingen kann. Schönberg wurde uns so vielleicht näher gebracht, als es der ambitionierte Vortrag Ahmels vermochte.

Das folgende Konzert des Stuttgarter „Ensemble Avance“ zeigte, daß zeitgenössische Musik auf hohem Niveau zu interessieren und unterhalten vermag. Im ersten Teil erklangen „Tonspuren“ (1989) von Cornelius Hummel, „Version“ (1982) von Raimund Jülich, das „Quintett“ (1990) von Manuel Hildalgo und „Die Kraft des Taumelns“ (1985) von Nicolaus A. Huber.

Das von Andras Hamary unauffällig vom Klavier aus geleitete Ensemble musizierte alle Werke mit sicht- und hörbarem Spaß am eigenen Tun. Es erwies sich als flexibler Klangkörper, der an allen Pulten hochkarätig besetzt ist und alle Werke adäquat darzustellen vermochte. Die knapp hundert Hörer waren bereits vor der Pause begeistert.

Der Höhepunkt des Abends war jedoch die Aufführung von Schönbergs einst skandal-umwitterten Melodram-Zyklus „Pierrot Lunaire“. Die Kölner Schauspielerin Ingrid Schmithusen interpretierte die psychoanalytischen Allegorien der drei mal sieben Dreizehnzeiler Girauds mit großer Intensität. Vielleicht bewirkte ja der „schauspielerische“ Ansatz der Umsetzung von Schönbergs „Gesangssprache“ beim Ensemble ein verstärktes Hineinhören in den Text. Rezitantin und MusikerInnen trugen sich gegenseitig und kamen zu einer geschlossenen, hochintensiven Interpretation, die mir unvergeßlich bleiben wird.

Gunnar Cohrs

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