Wolken über den Hochzeitsjodlern

■ Eine komische Oper: Smetanas „Verkaufte Braut“, inszeniert von Chris Alexander, am Goetheplatz

Schwarz verhängt sind die Säulen des Theaters am Goethe-Platz. Im Foyer des ersten Ranges sind Texte gegen den Krieg zu hören und zu sehen. Das Theater macht das Gemetzel am Golf präsent.

Auf der Bühne: High Life, es wird getanzt und gejodelt, „Brummbaß brummt, Trompete schmettert“, Komische Oper wird gespielt, und im Foyer kämpft das Premierenpublikum um den besten Platz an der Theke. Wär's nicht konsequenter, man spielte nur noch Kresniks King Lear?

Schwarz-dunkel ist der Zuschauerraum, wenn Smetanas furiose Overtüre zum Auftakt erklingt. Schemenhaft drohen überm Orchestergraben schwarze Wolken. Lichtbündel fixieren jetzt den Dirigenten, und beim virtuosen Streicherfugato erhalten die Schemen Kontur: weiß abgesetzt werden Häuser, Bäume und eine Dorfsilhouette sichtbar.

So illustriert klingt das Glanzstück anders als gewohnt. Kein „gelungner Spaß“ wird hier angekündigt, allenfalls ein roher, gefährlicher. Die eingestreuten Volkslieder und —tänze verlieren ihre glatte Oberfläche als Folklore, rauh klingen sie und melancholisch. Verklärung des Bauernstandes zum Ergötzen des feinen Stadtpublikums ist offenbar nicht Thema der Bremer Neuinszenierung. Es ist auch nichtThema der Oper Smetanas und seines Librettisten Karel Sabina.

Beide zeigen sehr genau beobachtet ein Dorf mit seinen alltäglichen Konflikten, zeigen Kleinbauern und Tagelöhner in ihrem Kampf um den Platz an der Sonne. Der Großbauer erkauft sich die hübsche Braut für seinen schwer vermittelbaren Sohn Wenzel, der Kleinbauer verkauft seine Tochter, um die drückende Schuldenlast loszuwerden. Der raffiniert-gewitzte Heiratsvermittler lügt, heuchelt und trickst bis zu totalen Erschöpfung, um die Provision einzustreichen, der Tagelöhner legt sie alle rein und bringt am Schluß Braut und Hof heim. Sein Scheinverrat bringt die Braut fast um. Jeder trampelt auf jedem rum, jeder verrät den

hierhin die drei

Theater-

Bauersleut

Peter Volpe, Eva Gilhofer, hinten Walter Fink Foto: Landsberg

anderen. Ähnlich wie bei Haseks Schweijk wird knapp am Rande des Abgrunds geblödelt, Verrat wird zur Überlebensstrategie.

Verrat ist alltäglich, auch für den Revolutionär Sabina, den Nationalhelden, der als K.u.K.-Stasi-Spitzel enttarnt wird. Alltäg

lich aber auch für Smetana, der seinen Beitrag als Barrikadenkämpfer 1848 vergessen lassen wollte mit eine Huldigungssinfonie für Franz-Joseph, den Kaiser, mit Schlußapotheose auf die auch uns bekannte Haydnhymne.

Maren Christenssens Bühnenausstattung versagt sich Postkartenkitsch. Sie zeigt eine karge und trübe dörfliche Welt. Nur der Bühnenprospekt darf zuweilen in stimmungsvollen Himmelsfarben strahlen. Davor tummelt sich des Regiesseurs Dorfgemeinschaft, herausgeputzt im eher ärmlichen Sonntagsstaat. Die obligaten böhmischen Trachten blieben im Theaterfundus zurück. Die Leute feiern Hochzeit, ausgelassen, albern und lassen Dampf ab. Frust wird mit Bier und Korn heruntergespült. Genau beobachtet ist diese Bauernhochzeit. Im Gelächter, dem Gegröhle und dem ausgelassenen Tanz wird Aggressivität frei. Der Alltag bleibt sichtbar.

Vor dieser eindringlichen, von bitterem Witz durchzogenen Milieustudie konstruiert Alexander die großen Ensembleszenen der Oper. Jede der handelnden oder behandelten Personen erhält präzise Konturen. Spielwitz und Spiellaune vertreiben abgestandene Operngestik. Lediglich Hans, den erfolgreichen Tagelöhner hätte man sich anders vorstellen mögen, weniger sonnig, weniger souverän. Und Marie's großes Lamento im letzten Akt geriet doch etwas zu koventionell.

Die musikalische Leitung von Istvan Denes fügte sich kooperativ in die Gesamtkonzeption ein. Sein Smetanaklang ist komödiantisch, unsentimental mit ironischen Akzenten gerade an „schönen Stellen“. Tanz-und Gesangsorgien erhalten klare Konturen, man hört hinter dem Kulturorchestre doch zuweilen die Dorfkapelle heraus. Das Bremische Philharmonische Orchester entfaltete sein Können erst im letzten Akt, vielleicht weil es dort recht wagnerisch zugeht. Nur lauter hätte man sich das orchestrale Geschehen gewünscht.

Chor (etwas zu klein besetzt nach meinem Geschmack) und Sängerensemble zeigten sich von ihrer besten Seite. Walter Fink brillierte als durchtriebener G'schaftelhuber Kecal, Walter Gabriel zeigte uns die wundersame Wandlung des reichen Muttersöhnchens zum störrischen und selbstbewußten Esel, Tadeusz Galczuk verdanken wir eine besonders in den grüblerischen und reflektierten Passagen seiner Rolle eindrucksvolle Darstellung, und Kathryn Jayne Carpenter sprach uns mit ihrem hellen klaren Sopran an.

Eine so auf ihren Punkt gebrachte „Verkaufte Braut“ paßt in den schwarzen Protest des Theaters. Mario Nitsche