Das tote Land von Luckenwalde

■ Bürgerprotest gegen sowjetische Übungsplätze in der Jänickendorfer Heide/ Wer bezahlt die Sanierungskosten?

Luckenwalde. Noch vor vierzig Jahren war die Jänickendorfer Heide zwischen Zossen und Luckenwalde dicht bewaldet. Heute ist der knapp 40 Kilometer lange und fast 15 Kilometer breite Landstrich verwüstet und das Grundwasser in Gefahr. Der alte Bauernwald wurde von sowjetischen Panzern platt gewalzt, nur Bombentrichter und Granatenlöcher geben der Wüstenei Profil. Das riesige Gebiet südlich von Berlin dient den sowjetischen Streitkräften seit Jahrzehnten als Manövergebiet und trotz aller kommunalen Versuche, zu sozialverträglicheren Regelungen zu kommen, wird dort kräftig weitergeschossen. Mindestens bis zum endgültigen Truppenrückzug 1994.

Die beiden größten Schießplätze in der Jänickendorfer Heide sind bei Heidehof und beim Alten Lager. Hier haben schon die Preußen geschossen und die Wehrmacht den Krieg vorbereitet. Aber was sich dort tagtäglich abspielt, berichtete der Vertreter der lokalen Bürgerinitativen, Pfarrer Flach, bei einem Gespräch im Haus der sowjetischen Kultur und Wissenschaft, »spottet jeder Beschreibung«. Stunde um Stunde rattern hier die schweren Kolonnenfahrzeuge und Panzer durch das Gebiet, werfen Flugzeuge über einem Abwurfplatz ihre Bombenlast ab und Granaten explodieren. Pfarrer Flach schüttet eine ganze Tüte Granatsplitter polternd auf den Tisch. Hunderte davon, berichtet er, sind selbst in dem kilometerweit entfernten Dorf Stülpe zu finden. Es sei ein wahres Wunder, daß von den fehlgeleiteten Geschossen noch kein Mensch getötet wurde.

Aber die Liste der Zwischenfälle ist lang. Im April 1990 schlug bei Stülpe ein Geschoß nur hundert Meter neben einem Traktoristen ein; im Sommer erwischte ein Querschläger beinahe einen Jungen und kürzlich, sagte Pfarrer Flach, wäre er selbst fast getroffen worden. In Eberswalde versagten auf einer abschüssigen Straße kurz vor einer vielbefahrenen Kreuzung plötzlich die Bremsen eines vollgepumpten Tankwagens. Nur dem Mut des Fahrers war es zu verdanken, daß es keine Toten gab. Der Soldat steuerte den Tankwagen auf eine Friedhofsmauer. Acht Tote gab es vor einigen Jahren in Forst Zinna, als ein Eisenbahnzug einen auf den Schienen stehenden Panzer rammte. In den letzten zehn Jahren, berichtete Pfarrer Flach sei es im Zusammenhang mit den Sowjets zu 43 schweren (zehn Tote und 44 Verletzte) und zu 200 vergleichsweise leichten Unfällen gekommen.

Am allerschwersten sind für die Bevölkerung die Tiefflüge zu ertragen, klagt der Pfarrer. Über Stülpe mitten im Manövergebiet oder über Jänickendorf, Baruth und Petkus am Rande, donnern die Tiefflüge, rattern die Kampfhubschrauber, täglich von sechs Uhr morgens bis zehn Uhr abends. Das Hygiene-Institut in Potsdam hat in diesem Gebiet eine durchschnittliche Lärmbelastung von 70-80 Dezibel pro Tag gemessen und selbst in der Nacht überschreitet der Lärm mit 40 Dezibel das für das Hörvermögen erträgliche Maß. Die Kinder sind verängstigt und weinen, berichtet Pfarrer Flach, und die Erwachsenen werden täglich aggressiver. Im vergangenen Jahr sei es zu Verkaufsboykotten für sowjetische Familien und zu antisowjetischen Parolen auf den Kasernenmauern gekommen. In einem Brief an den Ministerpräsidenten Stolpe haben Bürgerinitativen »außergewöhnliche Maßnahmen« angekündigt. So sollen demnächst Gasballons den Betrieb des Sowjetflugplatzes Altes Lager stören.

Der Lärm entnervt die Anwohner und die täglichen Manöver verseuchen die Umwelt. Ein Vertreter des Neuen Forums Luckenwalde berichtete, daß in der »freigeschossenen, brandgerodeteten oder niedergewalzten« Zone in der Jänickendorfer Heide die Niederschläge »nachweislich zurückgegangen« sind und der Grundwasserspiegel sich »verändert« habe.

Weitere Gefahren gehen von den Tanklagern aus. Überlaufventile gäbe es nicht, die Rohre zwischen den Tanks lecken und die Treibstoffe sickern, wie die Bürgerinitative bei einer Standortbesichtigung feststellen konnten, in einem ständigen Fluß in den Boden. Ebenfalls völlig ungefiltert würden die Abwässer von militärischen Einrichtungen und Kasernen in die Flüße geleitet. Alleine in die Nuthe flössen täglich 2.200 Kubikmeter Abwässer, in Potsdam würde man aus der Brühe Trinkwasser gewinnen.

Das Fatale an der momentanen Situation sei, berichten die Umweltschützer, daß ein sofortiger Truppenrückzug die Schäden nur vergrößern würde. Nur in einer engen deutsch-sowjetischen Zusammenarbeit könnte die militärische Entsorgung, von Objektübergabe, Recycling bis zu Sanierung geleistet werden. Noch fehlten alle Voraussetzung für eine derartige Kooperation. Bei Luckenwalde konnte die Bürgerinitative die Folgen eines überstürzten Abzugs einer Einheit beobachten. Die in die Erde eingebuddelten Tanks wurden einfach herausgerissen und die Zuleitungsrohre zerschnitten. Der Boden sei dort bis zu einer Tiefe von acht Metern mit Phenol und Benzol belastet.

Wer zahlt die Kosten für die fällige Sanierung? Weder die Kommunen noch das Land Brandenburg haben die notwendigen Millionen, und im Einigungsvertrag war die Frage der militärischen Altlasten kein Thema. Es fehlen auch jegliche Vereinbarungen über die Zukunft der Militärliegenschaften. Soll die Jänickendorfer Heide wieder aufgeforstet, ein Gewerbegebiet oder eventuell ein Truppenübungsplatz für die Bundeswehr werden? Neulich hätte ein Bundeswehrgeneral sehr sorgfältig das Gelände inspiziert. Im Fall einer Nutzung durch die Bundeswehr wolle man Widerstand leisten, sagen die Vertreter der Bürgerinitativen, denn es sei der geplagten Bevölkerung nicht damit geholfen, daß statt sowjetischer Granaten nun deutsche detonieren. Die Bürgerinitativen wollen, daß das Land denen zurückgegeben wird, denen es zum Teil noch bis in die siebziger Jahre hinein gehörte, und daß das verseuchte Gelände »sauber« wird.

Trotz aller Belästigungen und Gefahren aber, so betonen die Bürgerrechtler immer wieder, seien sie nicht antisowjetisch eingestellt. Ihnen läge an sachgerechten Problemlösungen. Die Öffentlichkeit suche man, weil viele Eingaben nicht beantwortet, viele Gesprächsversuche gescheitert seien. Ein Problem sei auch, daß die Gesprächspartner ständig wechseln und die neuen sich an die Absprachen mit den alten nicht halten wollen. Die einfachen Soldaten tun ihnen leid, sagen sie und dem deutsch-sowjetischen Verhältnis würde es schlecht bekommen, wenn »jetzt die Russen wie geprügelte Hunde« abziehen müssen. Anita Kugler