Griechenland fürchtet Bündnis(un)fall

■ Außenminister Samaras dringt in den USA auf Wiederherstellung des Gleichgewichts gegenüber der Türkei/ Griechen fürchten, an der Seite des „Erzfeindes“ Türkei im Golfkrieg kämpfen zu müssen

Athen (taz) — Der griechische Außenminister Samaras will in Washington auf die Modernisierung der griechischen Streitkräfte und die Beibehaltung des Kräftegleichgewichts im Ostmittelmeer dringen. Heute trifft Samaras mit US-Verteidigungsminister Cheney und Außenminister Baker zusammen, morgen ist ein Gespräch mit Präsident Bush angekündigt. Wegen der zusätzlichen finanziellen und militärischen Unterstützung der Vereinigten Staaten für die Türkei hat sich das zäh ausgehandelte Verhältnis der amerikanischen Hilfsgelder für die beiden Nachbarstaaten zuungunsten Griechenlands verändert. Galt in den letzten zehn Jahren ein Aufteilungsschlüssel von 7:10, so kann man jetzt schon von einem Verhältnis 5:10 sprechen.

Ein offiziell nicht dementierter US-Plan, der in der 'New York Times‘ veröffentlicht wurde, gesteht der Türkei bei einer totalen Niederlage Saddam Husseins sogar das Erdölgebiet Musuli im Norden des Irak zu, eine Abmachung, die die Athener Tageszeitung 'Ta Nea‘ so kommentiert: „In der ,neuen Ordnung‘ von Präsident Bush gibt es keinen besonderen Platz für die nationalen Interessen Griechenlands.“

Die konservative Regierung Griechenlands trug von Anfang an die UN-Resolution vorbehaltlos mit. Sie stellte den Alliierten ihren Luftraum und Stützpunkte in Kreta zur Verfügung und entsandte eine Fregatte in den Golf. Schon diese Haltung fand wenig Unterstützung bei den Oppositionsparteien und bei der Bevölkerung. Ein weiterer Beitrag, etwa als Nato-Partner an der Seite des Erzfeindes Türkei zu kämpfen, wäre jedoch ein Alptraum für jeden Griechen und würde die mit nur einer Stimme Mehrheit regierenden Konservativen zwingen, die griechische Außenpolitik der letzten 16 Jahre gegenüber der Türkei zu revidieren. Obwohl der griechische Präsidialminister Ewert es kaum für möglich hält, daß der Irak die Türkei angreift, glaubt er doch, daß „die Türkei einen Angriff provozieren“ könne. „Die Verteidigung eines angegriffenen Nato-Partners und die Automatik des Bündnisfalles am konkreten Beispiel eines irakischen Angriffs der Türkei — das sind zwei ganz unterschiedliche Dinge“, befand der Minister für nationale Verteidigung, Varvitsiotis, letzte Woche vor dem Parlament in Athen.

Nicht nur daß die Türkei die Hoheitsrechte der Griechen in der Ägäis anzweifelt; seit 1974 halten türkische Truppen etwa 40 Prozent der Insel Zypern besetzt. Nach Auffassung der Athener Regierung könne sich die Türkei nicht nur an das Nato-Abkommen klammern, während sie Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates in den Wind schlage. Damit sind zwei Aufforderungen der UNO an die Türkei gemeint, ihre 30.000 Soldaten aus Zypern sofort abzuziehen. In den griechischen Tageszeitungen werden die „sensiblen Politiker“ beschuldigt, „leicht ihre Prinzipien zu vergessen, wenn es um Orangen statt um Erdöl geht“.

Spekulationen, daß die Türkei im Falle eines „Kriegsgewinns“ im Irak das besetzte Nordzypern verlassen würde, hält die griechische Regierung für unwahrscheinlich. Eher fürchtet man, daß — gewissermaßen als „Belohnung“ für das türkische Engagement im Golfkrieg — nach Ende des Krieges internationale diplomatische Anerkennungen Nordzyperns folgen könnten. Beobachter sehen denn auch kaum eine Chance, daß die Bemühungen Samaras' in Washington von Erfolg gekrönt sein könnten.

Die griechische Bevölkerung steht in der Frage des „Bündnis(un)falles“ hinter der konservativen Regierung. Nicht allein wegen seiner Funktion als Brückenkopf zu Nordafrika und dem Nahen Osten unterhält Griechenland traditionell beste Beziehungen zur arabischen Welt. Während der Regierungszeit der sozialistischen Pasok zwischen 1981 und 1989 gab es enge politische Kontakte zum Iran, zu Libyen und zur PLO. In den USA handelte sich die Pasok deswegen den Vorwurf ein, Griechenland sei ein „Terroristenparadies“. Erst die jetzt amtierende zehnte konservative Regierung nach dem Zweiten Weltkrieg erkannte den Staat Israel an. Die araberfreundliche Haltung der Griechen stempelt auch Saddam Hussein nicht automatisch zum Buhmann. Nach einer Umfrage im KP-Organ 'Rizospastis‘ hält ihn nicht einmal die Hälfte der Griechen für den Alleinverantwortlichen am Golfkrieg. Für die Wähler der Pasok und der Linkskoalition trägt US-Präsident Bush die Verantwortung für den Krieg. Doch die griechischen Zeitungen weisen auch darauf hin, daß das Beispiel Irak nicht Schule machen dürfe. Es zeige deutlich, was passiere, wenn solche regionalen Großmächte außer Kontrolle gerieten. Die Griechen fürchten, daß die Türkei mit Hilfe der USA und der Alliierten zu einer neuen regionalen Großmacht werden und ebenfalls irgendwann mal „außer Kontrolle“ geraten könne. Robert Stadler/bel