Saddam Hussein und das Giftgas

■ Die Verfügungsgewalt über nichtkonventionelle Waffen schließt fast gesetzmäßig auch deren Einsatz ein

Am 1. Juli 1988, kurz vor dem Waffenstillstand im achtjährigen ersten Golfkrieg zwischen Irak und Iran, hielt sich der irakische Außenminister Tarik Asis in Bonn auf. Auf einer Pressekonferenz gab er damals zu, was bereits seit mehr als vier Jahren bekannt war: Der Irak hatte im Krieg gegen den Iran Giftgas eingesetzt.

Erinnern wir uns an die iranische Frühjahrsoffensive im Februar/März 1984 in den Majnoun- Sümpfen nördlich der irakischen Stadt Basra. Damals flog der Iran erstmals Verletzte in ein Wiener Krankenhaus aus, wo Ärzte den Einsatz von chemischen Kampfstoffen bestätigten. Zwei Jahre später kam eine Untersuchungskommission der UNO zu dem Ergebnis, der Irak habe wiederholt Giftgas gegen den Iran eingesetzt.

Am 23. März 1988 erreichte der Einsatz chemischer Waffen durch den Irak eine neue Dimension, als sie nämlich nicht gegen die gegnerischen Truppen, sondern gegen die kurdische Bevölkerung des eigenen Landes eingesetzt wurden. Für diese mörderische Skrupellosigkeit Saddam Husseins wurde der Name Halabcha zum Begriff, eine alte kurdische Stadt, in der bei einem Angriff mit dem „lautlosen Tod“ Hunderte, wenn nicht Tausende ums Leben kamen. Über gelegentliche Giftgasangriffe gegen die kurdische Bevölkerung lagen bereits seit April 1987 Meldungen vor. Zusätzlich berichtete im Januar 1989 der Vertreter der Vereinigten Kurdischen Front in Westeuropa über einen Einsatz von Typhus-Erregern gegen die kurdische Bevölkerung.

Festzuhalten bleibt, daß der Irak während des Krieges gegen den Iran chemische Waffen nicht über eine größere Distanz hinweg eingesetzt hat — vermutlich, weil er es nicht konnte. Ein Einsatz auf geringe Distanz, beispielsweise gegen Bodentruppen oder im Falle eines Kriegseintritts der Türkei, ist heute auf jeden Fall denkbar. Daß Saddam das Giftgas damals überhaupt einsetzte, lag nicht etwa daran, daß er gegenüber der kurdischen Guerilla mit dem Rücken zur Wand stand oder angesichts des iranischen Vordringens auf irakischen Boden um das Überleben seines Regimes fürchtete, sondern schlichtweg daran, daß er, zumindest in einem gewissen Ausmaß, über diese Waffen verfügte.

Im Falle des Krieges gegen den Iran mag mitgespielt haben, daß ein siechender Tod — Wochen später in einem schlecht ausgerüsteten Krankenhaus — weniger geeignet ist, mit dem Ruhm des Märtyrertodes auf dem Schlachtfeld versehen zu werden. Kriegsentscheidend jedenfalls waren die Giftgaseinsätze nicht; da spielte wohl eine wesentlich größere Rolle, daß die CIA der irakischen Führung Satellitenfotos über den Frontverlauf zur Verfügung stellte, wie im Dezember 86 bekannt wurde.

Vor diesem Hintergrund bleibt festzuhalten, daß die Tatsache, daß jemand über konventionelle und nichtkonventionelle Waffen verfügt, grundsätzlich die Möglichkeit einschließt, diese auch einzusetzen. Das gilt erst recht für einen Diktator, dessen Macht im Inneren auf institutionalisierter Gewalt und Terror beruht. In diesem Sinne sind alle diejenigen, die Saddam Hussein aufgerüstet oder ihm die Entwicklung von ABC- Waffen ermöglicht haben, nicht nur letztlich seine scheinheiligen Komplizen, sondern haben darüber hinaus ihren Teil zu der nunmehr zweiten großen Katastrophe innerhalb eines Jahrzehnts in der Region beigetragen. In dieser Hinsicht lesen sich die Worte des Exilirakers Samir el-Khalil fast prophetisch, der vor dem Ende des iranisch- irakischen Krieges schrieb: „Wenn Saddam mit seinem Einsatz Erfolg gehabt hätte, dann hätte er vielleicht alles gewonnen, was Nasser 1956 gewann; zusätzlich wäre aus der Sicherheit, daß er früher oder später wieder zuschlagen würde, eine neue Angst und Unsicherheit entstanden.“ Wie sich mittlerweile gezeigt hat, gilt das auch jetzt, da er mit seiner Invasion in den Iran keinen Erfolg hatte. Beate Seel