Die Farbe getrockneten Blutes

■ Dodo Richter-Glück in der Villa Ichon / Bilder von und gegen Gewalt

Gewalt, Gewalttaten, gewaltige Bewegungen: Es sind die Themen, denen man für gewöhnlich „fassungslos“ gegenübersteht, von denen Dodo Richter-Glück Impuls und Energie für ihre expressiven Emanationen in Acryl bezieht. In den Räumen der Villa Ichon, wo sie jetzt ihre großen Arbeiten zu großen Themen wie „Frauensterben in der BRD“ zeigt, haucht sakrale Atmosphäre, brennende Kerzen würden nicht stören. Z.B. auf einem siebenarmigen Leuchter.

Menorah, siebenarmiger Leuchter in der jüdischen religiösen Tradition, heute Wappen des Staates Israel, bedeutet die „von Zion ausgehende Erleuchtung“; sechs Arme stehen für die Richtungen, auch Oben und Unten, der mittlere für den Standort des Menschen selbst. „Menorah — Abel erscheint Kain“ heißt eine im Halbkreis gehängte Gruppe von Bildern von Dodo Richter- Glück, Reflexe auf Zeitungsberichte zu Anne Frank, ägyptischen Mumien, Stalins Massengräbern und einem Säureanschlag auf Rembrandts „Nachtwache“. Entsprechende Zeitungsausrisse vervollständigen die Assemblage, in der die Erschlagenen aller Richtungen erscheinen, in den Farben frischen und getrockneten Blutes.

Im Nachbarraum: „Frauensterben in der BRD“. Anstoß gab diesmal ein Spiegel-Prozeßbericht. Zwei junge Frauen sind von zwei Bekannten vergewaltigt und ermordet worden. Neben der Tat selbst erschreckt besonders das Verhalten der beiden Halbbrüder vor Gericht, die grausige Kälte, mir der sie von dem Verbrechen sprechen können. Dodo Richter- Glück zeigt mehrere Annäherungen an das Geschehen, wieder im großen Format, expressiv in den Blutfarben. Wie aus großer Höhe in die Erde geschlagen krümmen sich entindividualisierte Körper in dunkelroten Ackerfurchen, die zum schmutziggrauen Horizont hin fluchten. Als müßte Dodo Richter-Glück um alles in der Welt die innere Bewegung zur Tat, zu der die beiden „Soziopathen“ nicht fähig schienen, nachliefern.

Drittes Thema: „Einschulung / 9.November“. Die Malweise ist hier gelöster, die skizzierten Figuren bewegt, die Palette größer. Am 9.November '89 geschahen gleichzeitig der Mauerfall und die Einschulung der Tochter der Künstlerin. Eine merkwürdige Analogie, allenfalls individuell

Die Kraft der Bedeutung versperrt den Blick auf die technische Umsetzung

nachzuvollziehen. DDRlerInnen sickern durch löchrigen Zaun. Von der Zwanglosigkeit des „Vorschullebens“ in die Rigorosität der BRD-Struktur? Von Rosa nach Schwefelgelb?

Die Last der Bedeutung in den Bildern versperrt den Blick auf Malweise und Fragen der technischen Bewältigung. Nimmt einem Lust und Kraft zur notwendigen Distanz. Dabei bietet die Ausstellung mit mehreren Zeichnungen auch hierfür Material, zeigt, mit welchen Strichen sie sich ihren Figuren nähert. Ihr Vorbild, heißt es, sei Anselm Kiefer.

Ihre Produkte sind schwere Kost und passen also in diese Tage.

Burkhard Straßmann