Liebeserklärungen an die Heimat

■ »Olle DDR«: Ein Bilder- und Textbuch über den real vernichteten Sozialismus

Es gibt Bilderbücher, die stimmen einfach, weil sie gut gemacht sind. In Olle DDR — Eine Welt von gestern, einem gerade im Berliner Henschel-Verlag erschienenen Text-Foto-Band in sechs Kapiteln findet sich wenig Spektakuläres über die Transelbier, über die verloschene Zeit des alltäglichen Sozialismus und wie er wirklich war. Die Bilder der Berliner Fotografen Volker Döring, Joachim Donath und Rolf Zöllner sind stille, sachliche Aufnahmen voller Charme, nur manchmal garstig, böse, grau. Inszeniert ist nichts. Die Welt erschien grotesk genug. Kommentiert werden die Kapitel mit selbsterlebten wahnsinnigen Geschichten von Christoph Dieckmann und einem DDR-Kaputt- Essay von Friedrich Schorlemmer, zwei streitbaren Ost-Theologen des mittlerweile vergessenen revolutionären Selbstbewußtseins, das mit dem euphorischen Absturz in die Einheit verschollen scheint.

Die vergleichende Bild-Text-Aufmachung — nach jedem Fotokapitel folgt eine kleine DDR-Geschichte von Christoph Dieckmann — gehört wohl zu dem Authentischsten, was zur Zeit über das Experimentierfeld Leben im realexistierenden Sozialismus und was daraus wurde, auf dem Markt ist. Treffsicherheit und lakonischer Witz verbinden sich, wenn die alltäglichen Heldentaten bei der Arbeit, für den Frieden, bei Fahnenappellen, den Freizeitgelagen und Nach-Wende-Ernüchterungen in Bild und Text analysiert werden, mit einer Genauigkeit und Distanz, so daß man meint, einer Vivisektion der GenossInnen, nicht zuletzt der Schmerzen wegen, die sich die Text- und Bildautoren gelegentlich selbst zufügen, beizuwohnen.

Die Kunst der Fotografen, kritische Distanz in genaue Tiefenschärfe zu übertragen, offenbart sich vor allem in den Kapiteln »Neues Leben. Neue Menschen« und »Heute feiern wir!«. Denn abseits der offiziellen Bühne zeigte sich die »Nischengesellschaft DDR« von ihrer grausamsten Seite. Das »neue Leben« grub sich ein in schaurige Ecken voll sinnentstellter Leere mit Bierdeckel- und Hirschkäfersammlungen oder reaktionären Country-Festen, die allesamt westliche, aber schlechte Kopien waren. Kitschigen Idyllen bundesdeutscher Kleingärtner nicht unähnlich tut sich in den engen Bildräumen nur ein schmaler Lebens- und Freizeitmaterialismus auf. Seine Auswirkungen spürt man auf den Bildern, wenn die Freude auf den Trabi während 15jähriger Wartezeit in den Gesichtern verhungert ist und nur mehr eine müde Atmosphäre herrscht.

Der ironische Blickwinkel, mit dem die Fotografen die absurde Spießigkeit staatlicher Reglementierung, gymnastischer Massendressur und hastiger Vergangenheitsbewältigung nach der »Wende« knipsten, sind auch in den »Feier-Bildern« zu sehen. Auf offiziellen Festen blökten die Offiziellen, schwenkten Fahnen und skandierten »D-D-R«. Daneben lachten eifrig die Blöden, die Zynischen und Gefährlichen. Das Volk, so die Fotos, stand daneben, sich selbst und der Riten fremd geworden. Hier werden die Fotos weit, total, fangen am Rand ganz andere Geschichten in Gesichtern auf.

Die Texte Christoph Dieckmanns sind distanzierte Liebeserklärungen an die alte Heimat. Dieckmann erzählt von seiner Kindheit (etwa wie er im zarten Alter von 10 Jahren den Orden »Goldener Schneemann« beim Manöver »Schneeflocke« errang), der Schulzeit, seiner Familie, seinen Freunden — und Feinden. Leise entstehen poetische Szenen aus dem Alltag, der seine Bürger im immerwährenden Kampf um die Kompromisse der Vernunft zeigt. Proben des goldenen Humors der kleinkarierten Ideologen verwandeln sich zu irrem Kindertheater, hinter dessen Kulissen doch scharf geschossen wurde. Kleine Götter treten auf, wie Horst Sindermann, der in Sorge um das Wetter bei einer Bergmannveranstaltung unter regenschweren Wolken kategorisch prophezeit: »Genossen, am Tag des Bergmanns regnet es nie!« Unter dem ängstlichen gegenseitigen Mißtrauen wurde reibungsloser Alltag gespielt. Weder traute die Führung dem Volk noch traute dieses seinen alten Männern. Die Absurdität der Apparate gebar die Absurdität eines ganzen Volkes. Es entstand ein Leben »so als ob«. Wenn sich, wie bei Dieckmann, dabei Lebensbilder wie in einem Brennspiegel zu Episoden der Bewußtwerdung über die eigene Geschichte vergrößern, erscheint der Versuch DDR zwar zerstört, der Produktionsversuch indes nicht hoffnungslos. rola

Helmut Fensch (Hrsg.) Olle DDR — Eine Welt von Gestern. Erschienen im Henschel-Verlag, Berlin 1990, DM 29,50.