„Ich würd' so gern Vermittler sein...

■ ...tatsächlich bleib' ich doch ein Schwein!“/ Eine Geschichte aus Tegel

Um ein möglichst genaues Bild zu zeichnen, muß ich den Zeitnehmer zurückdrehen, so etwa Sommer 1990. Rebellion in Deutschlands Knästen, auch in Tegel liegen Ansätze einer solchen in der Luft. Zwei Gefangene der TA III, dem Ex- Zuchthaus, besteigen das Dach, um für bessere Haftbedingungen zu protestieren. Sie erzwingen unter Vermittlung eines Pfarrers und anderer Organe eine Pressekonferenz.

Wochen später rät ein Gruppenleiter in der Teilanstalt VI — ein recht junger und unerfahrener — einem völlig verzweifelten Gefangenen zur Kopie der erfolgreichen Aktion, die im Haus III stattgefunden hat. Der Gefangene erzählt mir vom Plan des Gruppenleiters (GL), er hält den GL für tierisch in Ordnung, echt stikum; vor allem deshalb, weil der GL nach der angeratenen Dachbesteigung zwischen ihm und Anstaltsleitung die Vermittlerrolle übernehmen will. [...] Angesichts des ungewöhnlichen Ratschlages vielleicht tatsächlich ein guter Mann, der ohne jeglichen Eigennutz einfach nur helfen will.

Der ob seiner desolaten Vollzugssituation und obendrein privater Probleme völlig verzweifelte Gefangene berät sich mit mir über den möglichen Ablauf der Dachbesetzung. [...] Nach langen Diskussionen, vielem Wenn und Aber nimmt der Plan Form an. Übers Flachdach des Sprechzentrums, Stock für Stock nach oben, mit Besenstiel und Haken. Je konkreter der Plan wird, um so mehr Zweifel beschleichen mich, ich habe ein ungutes Gefühl. [...] Er will es trotzdem machen, die Verzweiflung ist stärker. Ich wünsche ihm viel Glück. Kurz vor der Aktion wird dann der Haken, das wichtigste Utensil, bei ihm in der Zelle sichergestellt. Eine astreine Lampe. Irgendwie bin ich trotzdem erleichtert. Gekotzt hat, so wie ich es heute einschätze, nur der GL, schließlich ist er um seine Vermittlerrolle gebracht worden. Ich spreche ihn ein paar Tage später darauf an. Er grinst verlegen, mehr fällt ihm dazu nicht ein.

Wochen später holt er mich in sein Büro und eröffnet mir, daß da noch 39 DM Gerichtskosten offen sind, die ich zu zahlen habe. Ich bitte ihn, dafür zu sorgen, daß die Zwangsabgabe vom Eigengeld abgebucht wird. Das will er veranlassen. Die Einkaufsscheine kommen, ich stelle fest, es fehlen exakt 39 DM. So 'ne Scheiße, er hat doch gesagt... Ich will ihn aufsuchen, um die Sache, vielleicht ein Irrtum der Zahlstelle, zu klären. Er ist im Urlaub und wird vertreten, also klage ich dem Vertreter mein Leid. Der macht sich sachkundig und erklärt mir dann, daß das alles seine Richtigkeit habe, das sei so angeordnet worden.

Ein oder zwei Tage später ist der Mann, der gern vermitteln will, wieder da. Ich spreche ihn höflich auf den Vorgang an. Nein, nein, er war das nicht, er hat nichts verfügt. Und überhaupt, was das denn soll, so'n Theater wegen lächerlicher 39 DM Hausgeld, ob ich denn nicht merke, daß ich ihn bei einem wichtigen Einzelgespräch störe. [...]

Tage später habe ich etwas zu regeln. Zwischen Mittagspause und Einschluß, die Zeit ist knapp. Auch andere Gefangene möchten den GL sprechen. Die erste, zum GL-Büro führende Tür ist verschlossen, unüblicherweise. Ich gehe einige Schritte vor ihr auf und ab. Einer der Gefangenen verliert allmählich die Geduld und klopft etwas stärker an die Tür als gewöhnlich. Kurz danach erscheint der GL, zeigt mir 'nen Vogel und schreit Idiot. Mein ursprüngliches Bild kriegt allmählich Risse. Helfen will der niemandem, denke ich mir. Mir wird klar, daß der Mann für diesen Job völlig ungeeignet ist. Diese Meinung teile ich seinem Vorgesetzten mit. Ein paar Wochen später finde ich mich in der TA III wieder. Der verhinderte Vermittler hatte es lauthals angekündigt. Nicht vor mir, nein, vor Gefangenen prahlte er damit, schließlich sitze er immer am längeren Hebel. Stimmt! R.B., JVA Tegel