„...wartet, bis Müller aus dem Urlaub wiederkommt!“

■ Eine Geschichte über Gruppenzwang und Profilneurose

Wie ja auch schon bis zu Euch durchgedrungen sein dürfte, gibt es in den Häusern eine sogenannte Gruppenpflicht. Wer sich der entzieht, hat schlechte Karten jemals „Vollzugslockerungen“, wie definiert auch immer, zu erhalten.

Doch zu den Gruppen zu gehen ist eben so eine Sache. Schließlich sind wir weder Kinder, denen ein Beamter noch was vormachen kann, noch reizt uns das überaus fröhliche Angebot zwischen „Atem und Bewegung“ und Yoga. Da hört sich „Bastelgruppe“ schon viel besser an. Und so trafen sich dann auch eine Handvoll Unverbesserliche und gründeten eine Gruppe, in der jeder das tun darf, was a)von der Anstalt nicht beanstandet werden kann, b)den einzelnen Spaß macht.

Öffentlichkeit sollte hergestellt werden, was über taz und Rundfunk geschah. So meldete sich auch eine Frau, der es von Beginn an Spaß zu machen schien, mit uns einen Abend in der Woche zu verbringen. Wir richteten den Donnerstagabend dafür ein, und jeder kam gerne und pünktlich.

Sie war die Alternative zur Beamtenschaft. Der frische Wind im steten Beamtensmog. Sie war kein Mensch, der uns endlich mal zeigen wollte, wie verblödet wir doch sind und was Knacki besser machen mußte, sie kam fröhlich plappernd, setzte sich zwischen uns und arbeitete mit. Zeigt doch selbst mal, was ihr könnt. Tut was für euch. Basteln? Na gut! Was könntet ihr denn so gebrauchen? Stellt es euch doch selbst her.

Tabaksbeutel und Zigarettenetui, afrikanische Sandalen und einen Schal. Die Kreativität zog immer größere Bahnen, fein säuberlich darauf achtend, daß die Anstaltsleitung ja auch nichts beanstanden kann. Brauchten wir Material, beugten wir uns dem üblichen „sozialistischen Gang“ und kratzten wochenlang den zuständigen Beamten am Arsch, damit wir das Material auch bekamen. Immer öfter saßen wir nur da und unterhielten uns, da wir kein Material hatten. Langsam wurden Gedanken laut, daß die Anstalt uns „aushungern“ lassen wolle. War unsere Gruppe denen vielleicht ein Dorn im Auge? Zumindest wurde unsere Gruppe so behandelt. Gefangene bekamen „Besuch“, der damit endete, daß Werkstücke aus der Bastelgruppe aus der Zelle verschwunden waren. Es hieß, wir hätten die Erlaubnis, unsere Werkstücke mit auf die Zelle zu nehmen, dann durften wir doch nicht, und dann war es wieder erlaubt. Und dann, na ja, war mal wieder irgendeiner im Urlaub und das Material unter Verschluß.

Die Gruppe schmolz, aber ganz kaputt bekamen sie unsere Gruppe mit ihren Schikanen nicht.

Jetzt griff die Anstalt die Gruppe an ihrer schwächsten Stelle an. Die Gruppenleiterin. Sie ist eine einfache Frau aus dem Leben. [...] Jurisprudenz hält sie für eine bayerische Knödelsuppe, damit hat sie nichts am Hut. Wehrten sich die Gefangenen so mehr schlecht als recht gegen die diffamatorischen Unterstellungen der Anstaltsleitung und haben mit den Jahren einige Übung darin, traf es unsere Gruppenleiterin voll.

Verbotene Dinge soll sie in die Anstalt eingebracht haben. [...] Ein Gefangener bat sie, ihm etwas zu besorgen. Damit war sie einverstanden, da ja die Anträge dazu genehmigt waren. Die Einbringung war genehmigt und wurde vollzogen. Und da war noch das liebe Geld. Auch noch so liebe Mamis bekommen in den deutschen Geschäften nichts geschenkt. Und der Gefangene wollte ihr die Kosten für seinen Bedarf nicht aufbürden. Er stellte einen Überweisungsantrag, der genehmigt und vollzogen wurde. Et Corpus delicti.

Eine Gruppe, zu der die Gefangenen gerne gingen, war endlich zerstört. Wir wollten das nicht auf uns sitzen lassen und hakten nach. Pforte: „Gegen Frau B.? Nein, da liegt nichts vor!“ Besuchsscheine wurden ausgefüllt und abgesandt. Sie kamen beanstandungslos bei ihr an. Meeting, Frau B. konnte ungestört daran teilnehmen. Nur unsere Gruppe blieb ihr versagt.

Wir fragten sie: „Hast du was Schriftliches?“ „Nein, man hat mich an der Pforte abgefangen und wieder nach Hause geschickt.“ „Hat das etwas mit einer Person unserer Gruppe zu tun?“ „Nein.“

Wo wir auch hintelefonierten, niemand hatte auch nur den geringsten Anhaltspunkt, warum ihr der Gruppenausweis entzogen worden war. Nur stets bekamen sie und wir die gleiche Antwort: „...wartet, bis Müller aus dem Urlaub wiederkommt!“

Hofft die Anstalt, daß, wenn Herr Müller (TAL 111) wiederkommt, die Gruppe sich aufgelöst hat? Und was bitte hat der mit der Bastelgruppe in Haus VI zu tun? Es ist auf jeden Fall Beamtenwillkür. Sonst hätten die Verantwortlichen der Frau einen schriftlichen Bescheid und somit etwas Rechtswirksames zukommen lassen.

Eigentlich weiß keiner so recht, was los ist. H.E., JVA Tegel