Die zweite Wahl ist durchgefallen

■ Michael Bogdanov, Intendant des Hamburger Schauspielhauses, gibt auf

Geld allein macht nicht glücklich. Hamburger wissen das aus Erfahrung — Hamburgerinnen auch. Man weiß, was man hat, und ist verstimmt. Es fehlt zum Beispiel ein Theater, nicht irgendeines, sondern das beste. Aber in Hamburg ging die Sache fast immer schief, fast immer macht hier eines der beiden Staatstheater Ärger, meistens das Deutsche Schauspielhaus, das mit seinen rund 1.400 Sitzplätzen zu Deutschlands größten Sprechbühnen zählt.

Auf dem Chefsessel sitzt dort keiner lange. Michael Bogdanov, seit 1989 Intendant, hat zum 31. Dezember 1991 gekündigt und möchte am liebsten sofort gehen. Als er letzte Woche seine Entscheidung bekanntgab, war sie keine Überraschung mehr. Bogdanov war von Anfang an gescheitert, er wußte es bloß nicht.

Aber auch er, britischer Germanist mit russischem Vater und walisischer Mutter, wußte natürlich, daß Geld allein nicht glücklich macht. Sein Romeo und seine Julia zum Beispiel kommen gerade vom Einkaufsbummel aus den allerteuersten Boutiquen auf die Bühne, wo die schnieken Wohlstandslümmel der Montagues und Capulets mit ihren Motorrädern und Mountainbikes auf den Oberschläger warten. Und Tybald fährt im „Alpha Romeo“ (!) auf.

Daß Shakespeares Tragödie der jungen Liebe auch die Tragödie gelangweilter Luxuspuppen sein könnte, das war recht unbekannt, anderswo hätte nun darüber gestritten werden können. In Hamburg nicht. Hier wurde die Premiere zu einer jener Aufregungen, die keine Theaterskandale sind, weil es um das Theater gar nicht geht. Es geht um das Geld, das allein nicht glücklich, daher ein Theater nötig macht. Eines mit Sinn, nicht das von Bogdanov, das manchmal bösartig, weil spiegelglatt daherkommt. Der 'Spiegel‘, ganz Hamburger Lokalblatt, hat die Sehnsucht nach seelischer Erbauung vor zwei Wochen so ausgedrückt: „Theater, das ist für Bogdanov, ganz britische Kommerzschule, eher Broadway als Bühnentiefsinn.“

Was war geschehen? Verbittert schrieb der Gescholtene: „Ich habe das Gefühl, der falsche Mann am falschen Ort zur falschen Zeit zu sein.“ Eine viel zu späte Einsicht. Bogdanov war zweite Wahl gewesen, unverzeihlich frivol war bereits, daß er den Ruf nach Hamburg je angenommen hatte. Denn nur ein garantiert berühmter Chef kam in Frage, nachdem Intendant Zadek 1988 vergrätzt das Weite gesucht hatte. Der nächste Beste war Ivan Nagel gewesen, der schon mal eine volle Amtszeit durchgestanden hatte (1980-1985). Aber Nagel zog eine Berliner Professur vor, was der Hamburger Kultursenator Ingo von Münch schlicht als Ohrfeige empfand. Ein Mann der FDP übrigens, dem die sozialdemokratischen Koalitionskollegen kurz zuvor eine massive Kürzung der Schauspielhaus-Zuschüsse verpaßt hatten: eine Art Zadek-Bremse. Nachdem auch Peymann abgewinkt hatte, rief von Münch einigermaßen beleidigt Michael Bogdanov als Favoriten aus.

Aber wer war denn das? Niemand. Zadek hatte ihn als Regisseur spektakulärer Shakespeare-Inszenierungen aus Großbritannien nach Hamburg geholt — jedoch nur, um mal wieder zu zeigen, wie sehr viel besser das britische Gegenteil des deutschen Bildungstheaters doch sei.

Kein Kritiker fiel auf die Provokation herein, Bogdanovs Hamburger Julius Cäsar wurde gelobt. Auf der Bühne standen Panzerattrappen, unter Bombergeheul führten stramme Nazigeneräle eine Art Röhm-Putsch auf: all das also, was zwei Jahre später einhellig als Plattitüde verdammt wurde, als Unfähigkeit, der „Intensität und dem Nuancenreichtum des Textes“ gerecht zu werden, wie die 'FAZ‘ zu Romeo und Julia anmerkte. Aber eben solche ruppigen Aktualisierungen Shakespearscher Dramen hatten Bogdanovs Ruhm begründet, Hamburg mochte da aus Angst vor der Blamage zunächst nicht abseits stehen.

Das lokaltypische Syndrom wurde zum Verhängnis, als der suspekte Zadek-Import Intendant wurde. Bogdanov hatte keine Ahnung von deutschem Theater. Noch nicht. „Es geht hier oft um persönliche, nicht um universale Probleme“, formulierte er nach fünfzehn Monaten Lehrzeit in einem Interview mit der taz Hamburg. Und: Das deutsche Theater möge zwar eine moralische Anstalt sein, eine politische sei es nicht.

Noch unter Zadek war ihm ein zweiter Streich gelungen: Goethes Fabel Reineke Fuchs geriet in seiner Regie zum Dauererfolg mehrerer Spielzeiten. Auch dieses Erfolgsmuster wurde nun als Marotte verworfen: die volkstümliche Fröhlichkeit, die Bogdanov stets komischen Szenen angedeihen läßt.

Tragisch hatte er dagegen seine erste Spielzeit mit Hamlet in Eigenregie eröffnet, gelobt wurde Ulrich Tukur in der Titelrolle, ein Hubschrauber und andres Kriegsgerät in Shakespears Bühnenstaat mißfielen sehr und alles folgende erst recht, am meisten die Eigeninszenierungen: Schillers Maria Stuart, das Musical Guys and Dolls.

In den Kulissen sank die Stimmung, der Saal wurde dennoch voll wie nie zuvor, „Besucherrekorde“ waren zu notieren, aber Geld allein macht nicht glücklich, vor allem dann nicht, wenn es trotzdem fehlt: Die letzte Spielzeit schloß mit zwei Millionen Miesen ab. Bogdanov hatte keine Vorstellung von den Kosten eines Staatstheaters mit Tariflöhnen mitgebracht, bezahlte Gastregisseure und Schauspieler aber mit landesüblichen Gagen, also fürstlich, und überwies, ebenfalls landesüblich, das Gehalt für seine eigene Regiearbeit auf das Privatkonto.

Geradezu verarmt wird der Theatermacher Hamburg sowenig verlassen wie irgendeiner seiner Vorgänger. Erstaunlich ist eher, daß mit ihm das Schauspielhaus etwas reicher geworden ist: Er konnte die Stadt noch dazu bewegen, den Gesamtetat zu erhöhen, zwei weitere Eigeninszenierungen und zwölf Verträge mit jungen Ensemblemitgliedern fielen dennoch einem Sparversuch zum Opfer.

Seine eigene Kündigung hatte deshalb schon im Herbst Bogdanov gleich hinterhergeschickt: „Ich werde den Vertrag nicht über die Spielzeit 1993 hinaus verlängern.“ Aber so viel Zeit blieb nicht mehr, ob das Publikum ihn nun inzwischen mochte oder nicht, er hatte übersehen, daß in Hamburg zwei oder drei Führungsorgane der deutschen Presse sitzen. Was anderswo zur hübschen Dauerfehde mit Lokalredaktionen geworden wäre, wurde nun zum offiziösen Großskandal. Als auch die 'Zeit‘ Romeo und Julia („alt, uralt“) hinreichend verrissen hatte, erschien im 'Spiegel‘ die Abrechnung: Bogdanov habe die „Liebestragödie“ schon vor sieben Jahren in Tokio „präsentiert“, sogar das „Bühnenkonzept“ sei dasselbe gebleiben, das „Recycling“ lasse sich der „Gastarbeiter“ mit 50.000 Mark Gage honorieren.

So spricht nun mal der Stammtisch, und endlich hatte auch der „chronisch optimistische Bonhomme“ ('Spiegel‘) begriffen, warum Geld in Hamburg unglücklich macht. Er habe hier „eine Erfahrung gemacht, die ich nie wieder erleben möchte“, schreibt Bogdanov in seiner Abschiedserklärung. „Lügen und Halbwahrheiten“ habe er gelesen, nicht sein Schauspielhaus („Schauspieler mit Weltklasse“), die „deutschen Theaterkritiker“ steckten in einer Krise.

Er irrt zum letzten Mal. Die Kritiker dürfen jetzt den nächsten Besten für Hamburg ausloben. Der Tiefsinn der Behörde wird folgen. Bogdanov pfeift sich was und zitiert genüßlich seine Widersacher: „Der fröhliche Brite gibt auf, Tra-la-la.“ Er hat gut lachen: Nur Gustav Gründgens war noch acht Jahre Hamburger Intendant geblieben, er hatte hier Zuflucht vor den Fragen nach seiner Vergangenheit gefunden. Seine Nachfolger gingen schneller, den Rekord hält Egon Monk mit 78 Tagen im Jahre 1968. Typisch, Bogdanov wurde wieder nur Zweiter: Er hielt 18 Monate durch. Niklaus Hablützel