Estland jetzt auch für Referendum?

■ Nach Litauen sollen auch die Esten über die Unabhängigkeit des Landes abstimmen/ Spannungen in Litauen steigen wieder/ Fahnenflüchtiger von Militärs angeschossen

Moskau (taz/dpa) — Nach der baltischen Sowjetrepublik Litauen erwägt auch Estland eine Volksbefragung über die Unabhängigkeit der Republik. Am Montag beschloß das Präsidium des Parlaments, ein Referendum über die Unabhängigkeit zu befürworten. Es sei aber weder das Datum noch der genaue Inhalt der Fragestellung bestimmt worden. Die Entscheidung soll das Parlament in seiner am Dienstag beginnenden Sitzung fällen. Auch die Frage einer Beteiligung Estlands an dem von Moskau verlangten Referendum am 17. März über den Fortbestand der Sowjetunion ist noch nicht vom Tisch.

Ein Referendum über die Unabhängigkeit ist eine der schwierigsten innenpolitischen Herausforderungen Estlands, weil nur noch etwa 60 Prozent der Bevölkerung estnischer Nationalität sind. Litauen, dessen russischsprachige Bevölkerung übrigens nach in der vorigen Woche erfolgten Umfragen mehrheitlich für eine Loslösung von der UdSSR ist, hatte die Frage eines Referendums stets mit Rücksicht auf seine baltischen Nachbarn zurückgewiesen, doch jetzt unter dem Druck der Zentrale nachgegeben. Die Vorbereitungen für die Volksbefragung in Litauen, die am 9.Februar stattfinden soll, haben bereits begonnen.

Unterdessen ist es zu weiteren Zwischenfällen gekommen, die angesichts der allgemeinen Lage die Spannungen verschärfen. In der Nacht zum Dienstag wurde ein litauischer Deserteur bei seiner Festnahme schwer verletzt. Aufsehen erregte auch die Anweisung des Vorsitzenden des Staatskomitees für Fernsehen und Rundfunk der UdSSR, Leonid Krawtschenko, eine Gruppe von Mitarbeitern zur Arbeit im litauischen Fernsehen abzukommandieren. Gegen diesen Einsatz von „Streikbrechern“ — die litauischen Angestellten des Fernsehens legten nach den Ereignissen vom 12. und 13. die Arbeit nieder — protestierten Gewerkschafter des Moskauer Fernsehzentrums. An die Kollegen appellierte der Vorsitzende des Gewerkschaftskomitees, Plotnikow, und er wies seine Kollegen darauf hin, daß der Einsatz von Streikbrechern eine „Schande“ sei. er