Sartre verhaftet man nicht — mich schon...“

■ Gespräch mit dem Schriftsteller Gilles Perrault, gegen den der Staat wegen Aufrufs zur Desertion ermittelt

Am Donnerstag vergangener Woche hatte der französische Schriftsteller Gilles Perrault auf einer Veranstaltung in Toulouse zur Desertion und zur Sabotage der französischen Kriegsmaschine aufgerufen. Der sozialistische Justizminister Henri Nallet hat die Staatsanwaltschaft Toulouse daraufhin beauftragt, ein Verfahren zu eröffnen. Perrault hat am Algerien-Krieg teilgenommen und schrieb danach sehr erfolgreiche Dokumentarromane, darunter „Die Rote Kapelle“, „Le Pull-over Rouge“ und — im letzten Jahr — „Notre Ami le Roi“ über Hassan II. Der marokkanische König hat über seine Diplomaten und mit einstweiligen Verfügungen versucht, Erscheinen und Verbreitung des Buches zu verhindern.

taz: Je länger der Krieg sich hinzieht, desto deutlicher ist — nicht nur in Frankreich — ein bestimmter Ton zu vernehmen: die Suche nach dem inneren Feind. Die Rechte hat bereits Sanktionen für Ihre „Äußerungen eines Verräters“ verlangt, und für Provinzzeitungen inkarnieren Sie bereits das „Anti-Frankreich“.

Gilles Perrault: Das ist genau der Tonfall der Kolonialkriege. Man hat die Franzosen glauben gemacht, bei dem Golfkrieg handele es sich um ein Videospiel. Jetzt merken sie, daß es ein schwieriger Krieg wird, und prompt werden die Pazifisten zu Vaterlandsverrätern erklärt, weil wir sagen: Dieser Krieg ist nicht der unsrige. Die Suche nach einem Sündenbock hat eine lange Tradition in Frankreich.

Nach welcher Rechtsgrundlage hat der Justizminister das Verfahren gegen Sie eröffnet?

Das fragt man sich. Es ist verboten, Soldaten zum Desertieren aufzurufen, wobei die Strafen zu Kriegszeiten schärfer sind (Frankreich befindet sich übrigens nicht im erklärten Kriegszustand). Aber ich habe nicht die Militärs zur Desertion aufgerufen, sondern die Zivilgesellschaft. Die Zivilisten sollen sagen: Das ist nicht unser Krieg. Ich habe auch nicht gesagt, man solle militärische Einrichtungen sabotieren, sondern nur, daß man Mittel finden solle, seinen zivilen Protest auszudrücken.

De Gaulle sagte, einen Sartre könne man nicht verhaften. Gilt die Maxime nur in Friedenszeiten?

Ich bin nicht Sartre, mich kann man einsperren. Zum Glück! Denn ich freue mich auf einen Prozeß. Ich werde Vertreter des militärisch-industriellen Komplexes als Zeugen laden lassen, um zu fragen, wie viele Kampfflugzeuge sie geliefert haben. Dazu den Generalstabschef, den frage ich, wie oft er in Bagdad gewesen ist, um zu überprüfen, ob die Iraker auch gut in der Handhabung der Waffen unterrichtet würden. Denn wenn man schon von einem Anti-Frankreich sprechen will, dann sind es diese Leute: Sie haben Saddam Hussein die Waffen geliefert, mit denen morgen französische Soldaten getötet werden.

Einer der ersten Verlierer dieses Krieges scheint die französische Linke zu sein. Sie ist dabei, ihre Fehler aus dem Algerien-Krieg ein zweites Mal zu machen.

Wenn Sie die Sozialisten zur Linken zählen — gewiß. Die PS wird große Mühe haben, sich von diesem Abenteuer wieder zu erholen. Die Basis ist sehr verunsichert. Erst das Versagen in der Wirtschaftspolitik, jetzt noch der Krieg, der an die kolonialistische Vergangenheit der Partei und ihres Präsidenten erinnert, das ist zu viel.

In Ihrem Buch über Hassan II. beschreiben Sie, wie die französische Regierung über alle Menschenrechtsverletzungen in Marokko hinwegsieht, um den König zu stabilisieren. Wie hat sich die Pariser Regierung verhalten, als Marokko das Verbot Ihres Buches verlangte?

Außenminister Dumas ist nach Rabat geflogen, um sich für die Publikation des Buches zu entschuldigen: Er könne das Erscheinen eines Buches in Frankreich nicht verhindern. Aber man hat keinen Druck auf mich ausgeübt.

Kann es nach diesem Krieg noch eine französische Arabien-Politik geben?

Mitterrands Politik hat dazu geführt, daß Frankreichs Name auf den Straßen von Tel Aviv geschmäht wird, genauso auf den Straßen Ammans, Tunis', Algiers und Rabats. Und im Pentagon noch dazu. Ein totaler Erfolg. Unsere sogenannten Verbündeten schauen auf uns herunter, die Israelis verurteilen uns, und die Araber hassen uns. Ich glaube, Mitterrand führt seine Außenpolitik in der gleichen Weise, wie er die Parteiströmungen in der PS managt. Aber ich fürchte, das ist nicht das gleiche. Interview: Alexander Smoltczyk