SPD: „Die Stimmung schlägt um“

Die SPD kann sich in der Frage eines Waffenstillstands am Golf nicht einigen/ Die Pazifisten geraten in die Minderheit gegen die verhinderten Außenminister/ Bei einer Abstimmung über den Einsatz deutscher Soldaten in der Türkei unklare Mehrheiten  ■ Von Ferdos Forudastan

Bonn (taz) — Hans-Jochen Vogel war unwillig. Es sei doch wirklich überhaupt nicht Aufgabe der SPD festzulegen, ob sich Saddam Hussein erst zurückziehen müsse bevor man einen Waffenstillstand am Golf fordere oder ob man verlange, die Waffen vorerst ruhen zu lassen, um dann über den Rückzug und anderes zu verhandeln. Was der SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzende gestern vor Bonner JournalistInnen dabei nicht erwähnte: Die SPD hatte sich — wenn auch vorsichtig — bereits letzte Woche festgelegt. Mit einer Entschließung appellierte der Parteivorstand „an alle Verantwortlichen, die Kriegshandlungen einzustellen, um erneut für politische Lösungen Platz zu schaffen“. „Zu diesem Zweck“, so ist vage angeschlossen, fordere man die irakische Führung auf, „sofort mit dem Abzug der irakischen Truppen aus Kuweit zu beginnen“.

In einem längeren Streit hatten sich somit jene GenossInnen durchgesetzt, die den Rückzug Saddam Husseins aus Kuweit nicht als Voraussetzung einer Waffenruhe am Golf ausrufen wollten. Die Reise einiger Sozialdemokraten nach Israel ließ den mühsam beigelegten Konflikt wieder aufflammen: „Eine Waffenruhe ohne die Befreiung Kuweits [...] kann ich mir nicht vorstellen.“ Dies beschied am Montag in einem Interview Johannes Rau, nordrhein- westfälischer Ministerpräsident und Mitglied des SPD-Präsidiums. Hans-Jochen Vogel selbst äußerte sich Montagmorgen in einem Rundfunkinterview zu dieser Frage so ungenau, daß Agenturen meldeten „SPD-Chef lehnt Waffenstillstand am Golf derzeit ab“. Und der stellvertretende Parteivorsitzende Oskar Lafontaine mochte am Dienstag vor der Bonner Presse die Verwirrung darum nicht auflösen: Ein Waffenstillstand sei vonnöten, um die weitere Zerstörung von Leben erst einmal zu verhindern. Ob man den Truppenrückzug des Irak einem Waffenstillstand voraussetze, „mag dahingestellt sein“.

In der Grundsatzfrage ist die Partei unentschieden

Die Waffenpause schon fordern, bevor Saddam Hussein sich zurückzieht; die Waffenpause erst fordern, wenn er beginnt, sich zurückzuziehen — hinter dem sozialdemokratischen Streit um die richtige Reihenfolge der Forderungen steckt viel. Zunächst diese Frage: Will die SPD den Golfkrieg wirklich noch politisch beendet sehen? Oder glaubt sie, wie die US-Regierung und die Bundesregierung, daß dem Irak nur noch kriegerisch der Garaus gemacht werden kann, ja gemacht werden muß? „Die Stimmung schlägt um. Daß man mittels Krieg Saddam abrüsten sollte, finden immer mehr in der Fraktion“, erzählt ein SPD-Bundestagsabgeordneter. Dies hänge zum einen damit zusammen, daß Saddam nicht einlenke. Zum anderen sei es jedoch auch „Produkt der sozialdemokratischen Urangst, sich national und international mit einer Ansicht zu isolieren“.

Für einen anderen, den parlamentarischen Linken Horst Peter, steht die SPD in dieser Zeit des Golfkrieges, „vor einer ihrer grundsätzlichsten Fragen“, auf die sie bis heute keine eindeutige Antwort gefunden habe: Ist Krieg noch ein Mittel der Politik? Immer wieder waren in den letzten Wochen die gegensätzlichen Positionen hierzu aufgebrochen. So hatte es etwa ein sehr geteiltes Echo auf die Rede des Ehrenvorsitzenden Willy Brandt, kurz vor dem Beginn des Golfkrieges, gegeben. „Vernünftig“, „angemessen“ fanden es die einen, daß er die Bundesregierung nur sehr vorsichtig dafür kritisierte, wie wenig sie sich für eine politische Lösung am Golf eingesetzt hatte. „Enttäuschend“, „viel zu schwach“, „ein negatives Signal an die Friedensbewegung“, meinten dazu andere. Wenige Tage später hatte es einen neuen Dissens gegeben: Weder die Mehrheit der Partei noch die der Fraktion konnte sich dazu durchringen, in einer ihrer Entschließungen etwa zu fordern, die Bundesregierung möge alle 18 in der Türkei stationierten deutschen Alpha-Jets zurückbeordern. Im sozialdemokratischen „Kernkonflikt zwischen den verhinderten Außenministern und den der Friedensbewegung Verbundenen“, so Horst Peter, hatten letztere wieder verloren.

Zur Zerreißprobe für die Sozialdemokraten könnte es auch kommen, wenn der Irak die Türkei angreift und in Bonn die Entscheidung ansteht, ob die Deutschen als Nato- Mitglied in den Krieg ziehen. Zwar haben führende Sozialdemokraten — wie etwa Hans-Jochen Vogel oder Björn Engholm — bereits bekundet, ein „Nato-Bündnisfall“ könne nun, nachdem der Irak von der Türkei aus angegriffen wurde, gar nicht mehr gegeben sein. Zwar ist überdies noch immer nicht klar, ob der Bundeskanzler das Parlament in seine Entscheidung über das Vorliegen eines Bündnisfalles einschließt. Dennoch sehen manche SozialdemokratInnen die Gefahr noch nicht gebannt, daß die Partei demnächst vor der Situation stehen könnte, daß es mit von ihr abhängt, ob deutsche Soldaten in den Krieg ziehen. Vor allem die Kritik anderer europäischer Sozialdemokraten an der angeblich im der Golffrage viel zu zurückhaltenden SPD könnte genügend SPD-Abgeordnete für einen deutschen Einsatz im Golfkrieg stimmen lassen.