DERTÖDLICHETIP  ■  NOCTURNUS + BOLT THROWER

Manche Menschen finden unangenehme Dinge, wenn sie ganz tief unten in ihren Schubladen kramen. Halb verfaulte dritte Zähne, die der Urgroßvater vermacht hatte, und die nun stinkend in schwarzem Schimmel verfallen. Der erste Hamster, den man — unter Tränen — schwor, für immer bei sich zu tragen, und der nun nach 20 Jahren ledern mumifiziert im Fellgewöll zum Vorschein kommt. Und erst das Unbewußte, die erste gequälte Katze, der erste zerplatzend aufgeblasene Frosch, die erste unten herum begrapschte Nachbarstochter...

Das hört sich alles häßlich an. Es klingt noch häßlicher, wenn sich Bands des Earache-Labels solcher Themen zur vertonenden Grindarbeit annehmen. Dort türmen sich Leichenberge, um die sich Gedärmketten wie Schlingpflanzen ranken, dort wird das Szenario Hieronymus Bosch's endzeitlich aktualisiert, dort treffen sich Pathos und Pathologie auf dem Plattenteller.

Mittlerweile gehen die Urlaute von Napalm Death seit, fünf, sechs Jahren ins Land, und der »Hardcore Holocaust«-Sampler mit John Peelenden Lärmsessions ist ein vergriffenes Relikt der früh aufkeimenden Grindcore-Phase und teures Sammlermuß. »Earache«, Garant für independent vertriebene Gewaltphantasien und Orgienstimmung aus der Unfallklinik wurden selbst vom Spex-Magazin gewürdigt und zähneknirschend in deren Pop-Charts 1989 aufgenommen. Damit schien sich der Lärm zu legen.

Doch wie ein Phönix entstieg Deathmetal im letzten Jahr aus der Kulturasche, in Amerika mit Obituary und Morbid Angel, in Europa mit schwedisch-barbarischen Klängen und den englischen Zerhackern von Hellbastard. Welcher Art Kohlen ins Feuer geworfen wurden, kann man an so unterschiedlichen Bands wie Nocturnus und Bolt Thrower erkennen.

Bolt Thrower aus Birmingham vertreten noch die »old school« des Grindcore mit Punkeinflüssen, betonter Schwerfälligkeit und bleiernem Rhythmus. Die Kraft liegt in der Bildersprache ihrer Texte und macht den Gesang zum Bodensatz, die Musik zur betonenden Begleiterscheinung. Sie selbst sind mit den Soundtracks zum Untergang zu populären Helden der Comic-Szene Englands geworden. »Games Workshop«, eine englische Spielefirma, entwickelte bereits zum zweiten Mal ein Gesellschaftsspiel zur aktuellen LP, irgendwo zwischen »Herr der Ringe« und »Apocalypse Now«. Dazu die Platte: Gegrummelte Düsternis called Gesang, infernalische GitarrenausallenLäufen und dumpfzuckende Schlagzeugschläge.

Nocturnus spielen hingegen die amerikanische Variante. Hochtechnisch, blitzschnell bis in akademisch genaue Synkopen. Das hört sich im ersten Moment wesentlich furioser an, verschüttet aber bereits Sekunden später weitaus weniger Herzblut. Am Ende ist das eine schneller Prügelmetal, das erste hingegen bleibt Sägemühlenmahlkunst. Harald Fricke

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