Ein Kosmonaut, der die Erde liebt

■ Raumfahrer Dr. Sigmund Jähn sprach in der Urania AUS DER REIHE »VERLIEBTE AUTORiNNEN«

Wenige der in der Urania versammelten Raumfahrt-Freunde waren Frauen. Von dieser Minderheit aber trugen auffallend viele flauschige Mützen, die auch während der Veranstaltung auf den Köpfen blieben und die Frisuren aller anderen irgendwie schütter wirken ließen. Die Anwesenden warteten schon lange vor dem offiziellen Veranstaltungsbeginn im beige getäfelten Vortragssaal auf den berühmten Kosmonauten und ließen sich willig von der sphärischen Musik in andere Welten entführen. Dorthin, wo Dr. Sigmund Jähn schon mal war. 1978, als erster Raumfahrer der DDR.

Im Vergleich zu den Camel-rauchenden Abenteurern ist Dr. Sigmund Jähn ein echter und ein Held wohl auch. Aber er trat nicht als solcher auf und das machte ihn vom ersten Satz an sympathisch. Er wolle Erinnerungen teilen, eröffnete und begründete der Kosmonaut seinen Vortrag, »weil sie so schnell verlorengehen«. Sein Werdegang geriet bescheiden kurz (»Ich will Sie nicht langweilen«), dabei hätten viele sicher gern mehr erfahren. Über sein sächsisches Heimatdorf. Über sein Studium in der UdSSR. Über die Jahre als Flugbegleiter und vor allem über die Zeit im »Sternstädtchen« (so heißt das sowjetische Kosmonauten-Ausbildungszentrum, 40 km nordöstlich von Moskau). Dort bestand Dr. Jähn den »Drehstuhl-Test«, bei dem Kosmonauten-Anwärter etwa eine Viertelstunde hin- und hergedreht und gekippt werden. Auf diese Weise läßt sich auf Erden die Anfälligkeit für die »Raumkrankheit« ermitteln. Die »Raumkrankheit« ist das Äquivalent zur Seekrankheit, »es erwischt 30 bis 50 Prozent aller Kosmonauten«, so Dr. Jähn.

Aber es ging im Vortrag eben nicht um Anekdoten und Kuriosa, sondern um Wesentliches, um Sinn und Nutzen der bemannten Raumfahrt. Wahrscheinlich, so Dr. Jähn beim Nachdenken über diese Fragen, käme man zu dem Ergebnis, daß die Raumfahrt keinen Nutzen habe. »Aber man kann sie heute nicht mehr abschaffen.« Als Grundlagenforschung könne sie allerdings nur unter gewissen Bedingungen wertvolle Erkenntnisse liefern. Zum Beispiel bei der Überlegung, ob die Auswanderung von Menschen ins All eine Lösung für die Überbevölkerungsprobleme werden könne. Weil Dr. Jähn darüber nicht mit eigenen Thesen spekulieren wollte, berief er sich auf einen amerikanischen Wissenschaftler, der sich lange mit diesem Thema befaßt hatte. »Lurche, Amphibien sind auch irgendwann mal aus dem Wasser rausgekommen und haben sich eine ökologische Nische erarbeitet. Unter der Voraussetzung, daß wir nicht in den nächsten Jahren mit einem Atomkrieg alles Leben zerstören, kann es zumindest nicht ausgeschlossen werden, daß auch wir uns neue Dimensionen erarbeiten. Ich persönlich würde mir aber wünschen, daß wir statt dessen die Erde schöner machen und nicht zerstören würden, denn in das Weltall kann man keine Flüsse und keine Wälder mitnehmen.«

Im Anschluß an diese theoretischen Ausführungen wurden Dias gezeigt. Einige komplizierte Diagramme und schematische Raumschiff-Skizzen, die Dr. Jähn sachkundig erläuterte, ohne die Laien unter den Zuhörern vor den Kopf zu stoßen. Das lag aber sicher auch an den »Scenic Shots« zwischendurch, die der Kosmonaut mit klaren, schönen Worten kommentierte, aus denen eine fast zärtliche Liebe für die Erde sprach und eine Weisheit, wie sie vielleicht nur Raumfahrer haben können. Dr. Jähn zeigte zum Beispiel eine Ansicht auf die Weltkugel, die er selbst aufgenommen hatte und erinnerte sich: »Es ist schon eigentümlich, wenn man sie [die Erde] dann aus so großer Ferne sieht, so schön, so klein, dann begreift man wirklich, daß Grenzen nicht sinnvoll sein können.« Später tauchte ein Dia den ganzen Saal in ein wunderlich-rotgoldenes Licht, ein Sonnenaufgang. Dort oben, so erzählte Dr. Jähn, bei den Erdumkreisungen, sähe man davon 16 pro Tag. »Und in Wirklichkeit ist es noch viel schöner, als Sie es hier sehen können. Wenn die Sonne im Weltraum aufgeht, dann ist die Harmonie vollkommen.« Auch vom geselligen Leben im Raumschiff wurde berichtet und es sah ganz anders aus als in der »Enterprise«. Bord-Ingenieur Sascha hatte sich zum Beispiel über ein Versorgungsraumschiff »eine Gitarre hochschießen lassen«. Und Dr. Jähn hatte ihn fotografiert, wie er darauf spielt, im blauen Trainingsanzug, »russische Weisen — das war schon beeindruckend!« Der Vortrag endete mit ein paar Dias, die die Landung dokumentierten. »Im Unterschied zu einer Flugzeuglandung geht es viel sportlicher zu. Unsere Kapsel hat auf der Steppe praktisch zwei Bocksprünge gemacht und sich einmal überschlagen.«

Dann beantwortete der Kosmonaut viele Fragen der Zuschauer, insidermäßig oder klassisch, nach der Ernährung zum Beispiel. Darauf vorbereitet, zog Dr. Jähn eine in eine Tube gepreßte »Jagdwurst mit Kartoffelbrei« aus seinem Aktenkoffer und erklärte, wie man so etwas ißt und wo die Schwierigkeiten bei der Nahrungszufuhr liegen. Brot sei im Unterschied zur Tubennahrung in mundgerechte Bissen verpackt, »damit die Brösel nicht so herumfliegen«. Überhaupt würde man sich bei langen Aufenthalten im All so sehr an die Schwerelosigkeit gewöhnen, daß man bei der Rückkehr auf die Erde häufig Löffel und anderes fallen ließe, in Erwartung, sie blieben am rechten Ort schweben. Aber auch auf alberne Fragen wußte Dr. Jähn stets klug zu antworten. Wie sich sein religiöses Empfinden verändert habe, wohin er seine Gebete gerichtet habe, da er doch im Himmel gewesen sei? »Ich bin atheistisch erzogen worden. Aber ich muß sagen, daß mich der Aufenthalt im All tief bewegt hat. Und das geht allen Raumfahrern so: Man findet, egal ob man aus den USA, aus Vietnam oder Indien kommt, ganz schnell eine gemeinsame Sprache. Wenn Sie das als religiöses Erlebnis akzeptieren, dann war meine Reise ins All ein solches.«

Dr. Sigmund Jähn arbeitet, seit sich die DDR aufgelöst hat, nur noch als freischaffender Berater für Raumfahrtunternehmen. In der Urania wirkte der Kosmonaut aber so kosmopolit, daß man sich wünschte, er würde nicht nur Experten beraten. Dorothee Wenner