Weiterhin Wirbel um Radio 100

■ Jetzt wollen zwei der vier Anteilseigner doch nicht an die französische Rundfunkkette NRJ verkaufen/ Sie favorisieren Verlagsgruppe um Elefantenpress/ Die aber kalkulieren mit einem Mini-Etat

Schöneberg. Der Verkauf von Anteilen des linksalternativen Radio 100 an den französischen Rundfunkkonzern Nouvelle Radio Jeunesse (NRJ) wird aller Voraussicht nach platzen. Zwei Anteilshalter von Radio 100, der »MitarbeiterInnenverein« und »Tolleranz e.V.« (Eldoradio) signalisieren, daß sie ihre Anteile entgegen früheren Beschlüssen doch nicht veräußern werden. Gegen einen Verkauf von Anteilen der weiteren Eigner »Anderes Radio Berlin« (ARB) — Anteil 32 Prozent — und »Neues Radio Berlin« (NRB) — 26 Prozent — wollen sie ihre Sperrminorität einlegen. »Tolleranz e.V.« (5 Prozent) und der »MitarbeiterInnenverein« (34 Prozent) favorisieren nun einen anderen Interessenten, die Berliner Mediengruppe »Schmidt und Partner« (Elefanten Press, 'Titanic‘, 'Freitag‘).

In einer von den Vorständen der abtrünnigen Eigner verfaßten Erklärung heißt es, daß »der Vetrag mit NRJ keine Verbesserung« für Radio 100 bedeute. Der Vertrag sehe weder eine Weiterbeschäftigung aller bisherigen MitarbeiterInnen, noch die Beibehaltung des Musikkonzepts und der Minderheitenprogramme für AusländerInnen, Frauen, Lesben und Schwule vor. Das Konzept eines selbstverwalteten, selbsbestimmten Senders werden von einem »Kapitalmodell« abgelöst. Nur um das völlige Aus des Senders »mit allen finanziellen Folgen für die MitarbeiterInnen zu vermeiden«, habe man den Verkauf an den Seichtfunk NRJ akzeptieren wollen. Doch nun sei ein neuer Interessent da.

Die Vertragsunterzeichnung zwischen NRJ und Radio 100 war für den kommenden Samstag vorgesehen, nachdem das Privatfunk-Kontrollgremium Kabelrat am Wochenende dem Verkauf von 38 Prozent der Anteile zugestimmt hatte. Der MitarbeiterInnenverein will nun am Sonntag über seine Haltung zum Verkauf endgültig formell abstimmen, Tolleranz e.V. wird dies bereits am Freitag tun. Radio 100-Redakteur Joachim Schulte, Vorstand von Tolleranz e.V., bezeichnete es gegenüber der taz als unwahrscheinlich, daß sich die ablehnende Haltung der beiden Eigner noch ändere.

Laut Schulte sieht das Konzept von Schmidt und Partner vor, die zukünftige Chefredaktion durch die Gesamtredaktion wählen lassen. Der Großteil der MitarbeiterInnen solle übernommen werden. Erik Weihönig, Manager bei Schmidt und Partner, bestätigte der taz solcherlei Absichten; Hierarchie solle durch Kompetenz begründet werden. Man wolle die Musikfarbe für die Hörgewohnheiten breiterer Schichten gestalten (»morgens kein Garagenpunk«) und die Minderheitenprogramme erhalten. Weihönig vertraut auf eine in der Zukunft schwächere Position von DT 64 und eine weiterhin geringe Einschaltquote des SFB- Jugendkanals Radio 4 You. Man wolle mehr als zwei Millionen investieren, das reiche für ein Jahr Sendebetrieb. Im Krisenfall bestehe auch die Möglichkeit, Geld nachzuschießen. Weihörig geht von einem Jahresetat in Höhe von 1,6 Millionen Mark aus — mit Summen dieser Größenordnung sind vergleichbare westdeutsche Lokalsender allerdings gescheitert.

NRJ, so Radio 100-Geschäftsführer Thimme, wolle die »vierfache Summe« investieren. Allerdings ist mit dieser Summe auch ein klares und straffes Hierarchiemodell verbunden. Von den MitarbeiterInnen soll nur eine Rumpfmannschaft bleiben, der Rest der Belegschaft würde abgefunden werden. Inhaltlich lassen die Programme, die NRJ in Frankreich macht, nichts Gutes hoffen. NRJ kaufte rund 300 Lokalsender auf und machte daraus Stromlinien-Musiksender. kotte