Das wiedergefundene Glück der Nato

Endlich wieder klare Feindbilder: Friedensbewegung und Bösewichter aus dem Bilderbuch/ „Europäisierung“ der Nato ade/ Wörner, der Abgewrackte, ist wieder jemand/ Der Generalsekretär: „Nur gemeinsam mit den USA können wir's schaffen!“  ■ Aus Brüssel Michael Bullard

Manfred Wörners Augen strahlen. Der amtierende Nato-Generalsekretär und ehemalige Bundesrüstungsminister wirkt um zehn Jahre jünger. Es sei wieder etwas los, frohlockt er. Nicht den Golfkrieg meint er damit, sondern die Rückkehr der Friedensbewegung. Daß seine alten Widersacher aus den Hochzeiten des Kalten Krieges nun erneut marschieren, belebt den alten Haudegen mehr als der „Wüstensturm“ am fernen Golf. Beide Seiten, so scheint es, schöpfen noch einmal aus alten Feindbildern Kraft: Nato versus Friedensbewegung — vertrautes Terrain, in dem sich selbst die sonst hoffnungslos verlorenen Euro-Grünen plötzlich leichtfüßig bewegen.

Noch vor Monatsfrist empfand sich die EG als rechtmäßige Erbin des Vermächtnisses aus dem Kalten Krieg. Die Nato sollte europäisiert werden, langfristig wollte man sogar eine Auflösung der Allianz nicht mehr ausschließen. Davon ist seit Mitte Januar nicht mehr die Rede. Golfkrieg und Todesschüsse in Litauen haben solche Hoffnungen vorerst radikal gestutzt. Kleinlaut lauschen die EG-Architekten den Tönen aus dem Brüsseler Hauptquartier der Nato. Wörner, noch vor kurzem als Kapitän eines sinkenden Schiffes bedauert, ist wieder wer. Als europäisches Sprachrohr der Kriegergemeinschaft ging er letzte Woche auch gleich in die vollen: „Instabilität und Unwägbarkeiten sind die Dominanten in der Welt von heute. Das Barometer zeigt auf Sturm. Wer kann in dieser Situation für Stabilität sorgen?“ Natürlich nur die Nato.

Überdies: Wer weiß denn schon, was ein eventueller Gorbatschow- Nachfolger mit all den in der Sowjetunion angesammelten Waffen machen wird? Oder noch schlimmer: „Stellen Sie sich vor, was passieren würde, wenn die USA nicht mehr in der Lage oder Willens wären, ihre Aufgabe als Weltpolizist zu erfüllen.“ Und nun, schlußendlich, der Golfkrieg! Zwar sei dies kein Krieg zwischen der Nato und dem Irak, auch nicht zwischen den USA und dem Irak, sondern zwischen der UNO und dem Irak. Dennoch: „Wenn Hussein auf die Idee käme, die Türkei anzugreifen, würde die Allianz zur ihren Verpflichtungen stehen.“ Die Zweideutigkeit der Bundesregierung in dieser Frage straft er mit weltmännischer Zurückhaltung. Die Forderung der Briten hingegen nach deutscher Unterstützung des Krieges am Golf hält er für absolut berechtigt. Schon vor Jahresfrist hatten die Nato-Strategen als Ersatz für die schwindende Bedrohung im Osten nach neuen Schreckensszenarios in anderen Weltgegenden gefahndet. Beim Frühlingsmanöver „Drachenhammer“ der Nato-Flotte im Mittelmeer galten erstmals nicht die Sowjets als Angreifer. Statt dessen wurden „Brandherde der Instabilität“ am Rande des Mittelmeers, auf dem Balkan und im Golf ausgemacht. Saddam Hussein war damals schon im Fadenkreuz der Nato- Schützen, zumindest als theoretisches Ziel: Die Allianz war auf einen möglichen Krieg mit dem Irak eingestellt — und sei es nur, um ihre Existenzberechtigung zu rechtfertigen. Die Einbeziehung der Türkei in den Golfkrieg und die sowjetischen Todesschüsse in Litauen helfen ihr bei der Imagekampagne auch weiterhin. Zumindest in EG-Kreisen nimmt man Wörners Vision von „reibungslos in die Nato integrierten europäischen Verteidigungsstrukturen“ sehr ernst. Hatten im vergangenen Jahr noch der italienische und französische Außenminister zusammen mit Kommissionspräsident Delors auf mehr Unabhängigkeit von der Nato gedrängt, so drängt nun die britische Linie eines „europäischen Pfeilers“ der Nato nach vorne. US- Fan Wörner ist zufrieden: „Der Golfkrieg bietet die Gelegenheit, die beiden parallel ablaufenden Prozesse — Identitätsfindung der Allianz jenseits des Ost-West-Konfliktes und Integration der EG — zu verbinden.“ Denn: „Europa kann es in absehbarer Zukunft, wenn nicht sogar für immer, nur zusammen mit Nordamerika schaffen.“