Der verzweifelte Spagat des Achille Occhetto

Italiens Kommunisten lösen sich ab heute in Rimini auf/ „Demokratische Partei der Linken“ ohne internen Zusammenhalt/ Golfkrieg als vorläufiger Kitt zwischen der Parteiführung und dem antikapitalistischen Flügel/ „Bravo“ für den Papst  ■ Aus Rom Werner Raith

Achille Occhetto (54), gelernter Philosoph, vor zwei Jahren und nach mehreren katastrophalen Wahlniederlagen zum Chef des Partito Comunista Italiano gekürt, hat einen Traum: Er möchte das Wunder des Phönix aus der Asche nachvollziehen. Modernisiert natürlich. Den alten, dem Volk vertrauten PCI will er einäschern und dafür eine „neue Formation“ entstehen lassen, „weit hinausgehend über die traditionelle Klientel der Kommunistischen Partei“, ein „Sammelbecken für alle linken, progressiven, ambitionierten Kräfte“, in dem kritische Katholiken genauso eine Heimat finden wie Manager und Liberale, ebenso wie die Veteranen der Studentenbewegung; mit dem Namen Partito Democratico Della Sinistra (Demokratische Partei der Linken), abgekürzt PDS, und einer Eiche als Parteisymbol statt Hammer und Sichel wie bisher. Zu sanktionieren von einem „Verfassungsparteitag“. Der steht nun seit heute in Rimini auf dem Plan. Doch was am Ende dabei herauskommt, ist unklarer denn je.

Den Traum vom großen Wendemanöver nährt Occhetto seit Mitte November 1989 — damals, als die Mauer fiel, hatte der Parteichef seine Eingebung, und flugs verkündete er sie, ohne Verständigung mit seinen Führungsgenossen.

Doch wie das so geht: Der Prophet gilt meist in seinem Vaterlande weniger als fern der Heimat. Während die 'Süddeutsche Zeitung‘ in Occhetto den „gewieften Taktiker“ sieht und die deutschen Sozialdemokraten den PCI schon seit den Tagen des 1983 verstorbenen Parteiführers Enrico Berlinguer mit einem verliebten Auge betrachtet, hat der Noch-PCI- und Noch-nicht-PDS-Chef alle Mühe, seinen Spagat durchzustehen; Gewieftheit sieht außer der 'SZ‘ sonst auch niemand mehr. Zwar wird Occhetto aufgrund der Zusammensetzung der 1.200 Delegierten des Kongresses eine Mehrheit für seinen Vorschlag bekommen, die alte Partei aufzulösen und die neue Formation zu gründen. Doch längst ist die kurz nach seiner Traum-Kündung verzeichnete Dreiviertelmehrheit zerbröselt, haben sich Gegenformationen gebildet, die er inhaltlich nicht mehr zusammenbinden kann.

Da ist, numerisch recht klein, aber mit einem äußerst agilen Stamm von Aktiven, der alte moskautreue, gern als stalinistisch beschimpfte Flügel um Armando Cossuta (64), der an die fünf Prozent der Delegierten stellt und von einer Auflösung des PCI überhaupt nichts wissen will, ja sogar mit der Gründung einer eigenen Partei mit dem alten Symbol und Namen droht. Dann ist da, mit circa 25 bis 30 Prozent, der sowohl der UdSSR wie den USA abgeneigte, vor allem kapitalismuskritische, auch stark umweltberücksichtigende Flügel um den ehemaligen Parlamentspräsidenten Pietro Ingrao (75), der letzten dem PCI verbliebenen charismatischen Figur. Und dann sind da noch zahlreiche Wanderer zwischen der Richtung Ingraos und der Occhettos — sofern man bei letzterem überhaupt von einer Richtung sprechen kann.

So stützte er sich zu Anfang seines Wendemanövers auf den sogenannten Miglioristen-Flügel (der sich in Anlehnung an den neokonservativen Kurs des Sozialistenführers Bettino Craxi nicht einmal mehr reformistisch nennen, sondern nur noch die Sozialbedingungen „verbessern“ — „migliorare“ — will) um Giorgio Napilotano (65) und die beiden Ex- Chefredakteure der Parteizeitung 'L'Unitá‘, Chiaromonte und Macaluso (beide 66). Dann verließ ihn ob der Absage aller von ihm angepeilten Klientel außerhalb des PCI — von den Katholiken bis zu den Grünen — der Mut, und er näherte sich nicht nur Ingrao, sondern auch dem Altmoskauer Cossutta wieder an (etwa indem er ohne Verständigung mit den Miglioristen beschloß, unter sein Eichensymbol auch noch Hammer und Sichel und die alte Bezeichnung „P.C.I“ zu setzen, gleichsam als Wurzel des Baumes). Das brachte die Parteimitte in kräftige Rage, außerdem bot er nun wieder Angriffspunkte zuhauf für die Sozialisten, die zwar gerade halb so stark sind wie die Kommunisten, aber ihren Bettino Craxi unbedingt als Führer einer vereinigten Linken sehen wollen. Occhetto-konsequent kehrte der PCI- Lenker wieder um und verprellte vergangenen Herbst Ingrao durch allzu amerikafreundliche Töne — um dann, mit dem Näherrücken des Golfkrieges, plötzlich wieder ganz wie Ingrao die Heimkehr des italienischen Truppenkontingents zu fordern.

Dagegen läuft nun, unmittelbar vor dem Kongreß, Migliorist Napoletano, im seit vorigen Jahr amtierenden Schattenkabinett Außenminister, und mit ihm ein Bündel Gleichgesinnter Sturm, wie etwa der derzeitige Chef der 'L'Unitá‘, Renzo Foa: Für ihre weitere Unterstützung verlangen sie, daß Occhetto den Soldaten am Golf seine Solidarität ausdrückt und daß die Partei überdies zum Regierungsbeschluß der Kriegsteilnahme steht.

Den neuerliche Spagat, der wohl endgültig seine Sehnen reißen ließe, sucht Occhetto derzeit mit Hilfe eines unverhofften Bundesgenossen zu vermeiden — dem Papst. Der ruft so unverdrossen zum Frieden auf und zaust derart ungeniert nicht nur Saddam, sondern auch die Amerikaner, daß der PCI zu den sonntäglichen Reden Johannes Pauls II. sogar ihre Topleute hinschickt und danach allen Gegnern Wojtyla-Parolen ins Gesicht wirft. Occhettos Stellvertreter und engster Vertrauter Massimo D'Alema (40) hielt beim Angelus am Petersplatz ein ums andere Mal sein Töchterchen vor die Kameras und skandierte: „Il Papa é bravo, é bra-vo, bra-vo!“

Doch so sehr Ingrao und die Seinen Occhettos Friedenskurs begrüßen — sie sind sich im klaren, daß dies die anderen, nach dem Krieg wieder aufbrechenden programmatischen Fragen total zudeckt. Und so manchem von der Basis ist auch die Allianz mit dem Papst ein Greuel — zu tief sitzen die Wunden durch die regelmäßigen Höllen-Prophezeihungen für Kommunisten durch die Päpste.

In Rimini standen jedenfalls verdatterte Kongreßhelfer bei ihrer Anreise am Dienstag vor Graffiti, die Occhetto mit Papst-Mitra auf dem Kopf darstellten und dem Spruch darunter: „Und nun beginnen wir unseren Kongreß mit einem feierlichen Gebet.“