Islam ist nicht gleich Islam

Verschiedene islamische Interpretationen über den Golfkrieg/ Die einen rechtfertigen unter Berufung auf den Koran die ausländische Intervention, die anderen lehnen sie ab/ Arabische und islamische Lösungsvorschläge sind fast deckungsgleich  ■ Aus Kairo Karim El-Gawhary

Al-Islam huwa al hall — der Islam ist die Lösung, heißt es auf einer der Hauswände in der Kairoer Altstadt. Die Menschen, die in den letzten Tagen seit Beginn des Krieges diesen hastig an die Wand gepinselten Slogan gesehen haben, mögen des bedauerlich gefunden haben, daß kein weiterer Platz auf der Mauer zu finden war, um dies näher auszuführen.

In der Tat kursieren in Ägypten seit Wochen mehrere Interpretationen dieser „islamischen Lösung“. Eine davon liefern die Vertreter der islamischen Azahr-Universität im Zentrum Kairos. Diese Universität und ihr Lehrpersonal gilt seit fast 1.000 Jahren als eine Autorität der islamischen Rechtsprechung. Die dort verfaßten Rechtsgutachten zu verschiedenen Problemen des Islams finden weit über die Grenzen Ägyptens hinaus Gehör. Die Sache hat nur einen Haken. Seit der Zeit Gamal Abdel Nassers ist diese Institution so gut wie verstaatlicht, und deren Scheichs arbeiten seitdem als Angestellte des Staates. Der Charakter eines Ministeriums zeigt sich auch bei dem Versuch, einen kompetenten Interviewpartner in dieser ehrenwerten Institution zu finden. Um Fragen stellen zu dürfen, benötigt man mindestens einen Brief des staatlich kontrollierten Pressezentrums, bevor die Fragen für mehrere Tage geprüft und anschließend gestellt werden dürfen. Wie sensibel das Thema Golfkrieg ist, zeigt das Abwinken des Empfangsbeamten, als er die Frage nach der Stellung der Azhar bei einem Eingreifen Israels in den Golfkrieg liest. „Zu politisch“, sagt er mir freundlich, während er die Frage kurzerhand durchstreicht.

In mehreren Aufrufen in Fernsehen und Radio hatte der oberste Scheich der Azhar die Politik der Regierung unterstrichen, Saddam Hussein solle nun endlich Vernunft walten lassen und sich aus Kuwait zurückziehen, um sein Volk vor weiterem Schaden zu bewahren.

In der Wochenzeitung der Azhar, 'Das Islamische Banner‘, finden sich auf grünem Papier, in der Farbe des Propheten, die Stellungnahmen des „Staatsislams“. Dort argumentiert ein anderer Scheich, Atia Saqr, mit dem Koran. Aus mehreren Suren schließt er, daß im Falle eines Streits, bei dem ein Stärkerer einem Schwächeren Gewalt antut, eine dritte Seite intervenieren darf, bis der Streit geregelt sei. Genau dies sei im Falle Kuwaits und des Iraks eingetreten. Am besten solle eine moslemische Macht zu Hilfe gebeten werden. Da es aber keine Einigkeit unter den Moslems gebe, die sich gegen den Aggressor wendeten, dürfte auch eine befreundete Macht zum Einschreiten aufgerufen werden. Den Namen USA spricht er dann allerdings nicht mehr aus.

Ganz anders sehen das die ägyptischen Moslembrüder, eine politische Organisation, die sich seit den 30er Jahren als die islamische Avantgarde sieht. Hier geht der Empfang wesentlich unbürokratischer vonstatten als bei der Azhar-Universität. Der Sekretär beschreibt mir gutgelaunt, wie ihn vor einigen Jahren das Deutsche Fernsehen unter dem grünen, mit zwei sich kreuzenden Säbeln versehenen Wappen gefilmt hatte. Er dürfte um die 60 Jahre alt sein und erzählt mir stolz, wie er in der Nasser- und Sadat-Zeit im Gefängnis saß. „Gott hat mir geholfen, das durchzustehen“, sagt er.

Der Kanzler der ägyptischen Moslembrüder, Ma'mun al Khudaibi, spricht ganz offen über seine oppositionellen Ansichten. „Wir sind gegen die Besetzung Kuwaits, aber wir sind vor allem gegen die ausländische Einmischung. Bush ist nicht an einer Befreiung Kuwaits interessiert. Ihm geht es nur darum, seine Hand aufs Öl zu legen“, meint er. Und er fügt hinzu: „Ich kann Saddam Hussein nicht ausstehen, aber was gerade passiert, ist die Zerstörung Iraks und seiner 18 Millionen moslemischen Einwohner.“ Ein erst vor wenigen Tagen gedrucktes Flugblatt unterstützt seine Worte. „Die Gier des zionistischen und kolonialistischen Kreuzfahrerbündnisses ist deutlich [...] Ihr Ziel sei die Befreiung Kuwaits, sagen sie. Das ist eine Lüge. Sie wollen nichts anderes als unsere Unterwerfung“, heißt es darin. Sie fordern Präsident Mubarak auf, sofort die ägyptischen Truppen aus dem Golf zurückzuziehen. „Wir fügen unsere Stimmen den Stimmen der Völker und Regierungen hinzu, die ein sofortiges Ende des Krieges fordern. Eine friedliche Lösung ist weiter möglich“, schließt das Schreiben, das von dem Leiter der ägyptischen Moslembrüer, Abu Nasr, unterzeichnet ist.

Dieses Flugblatt ist der vorläufige ägyptische Höhepunkt einer Kampagne aller arabischen Moslembrüder, die bereits vor dem Krieg gestartet wurde. Bei einem Treffen in den Arabischen Emiraten im Dezember hatten sie die Ursachen der Krise am Golf diskutiert. Dabei wurden auch die Golfländer nicht ausgespart. Es stimme, daß der Irak nicht wirklich ein islamisches Land sei, aber die Golfländer hätten auch nicht die islamischen Grundsätze in Politik, Wirtschaft, Erziehung und Recht angewandt. Diese Länder seien Despotien und es gebe keine Meinungsfreiheit. Die Herrscher dieser Länder betrachteten den Reichtum des Staates als ihr Privateigentum, war das Ergebnis dieses Treffens. Das ist um so bemerkenswerter, als gerade diese Länder als die Finanzquelle für Organisationen wie die ägyptischen Moslembrüder galten. Als die ägyptischen Moslembrüder schließlich die Initiative ergriffen und durch einen Besuch im Irak und in Kuwait als Vermittler in der Krise auftreten wollten, wurden sie jäh gebremst. Die ägyptische Regierung erließ ein Ausreiseverbot. Sieht man die ägyptischen Moslembrüder in Zusammenhang mit deren Organisation in anderen arabischen Ländern, zeigt sich ihre relativ moderate Position. „Die Brüder im rechtsgläubigen Irak sehen sich mit dem achten Kreuzzug bedroht“, heißt es in einem Aufruf der jordanischen Moslembrüder an das ägyptische Volk, der wenige Tage nach Kriegsbeginn in einer der ägyptischen Oppositionszeitungen erschien. „Könnt ihr eure Brüder im Irak jetzt alleine lassen und sie den ungläubigen Staaten ausliefern?“, wird das Volk am Nil gefragt. Und sie verbinden die Kuwait-Frage mit Israel. „Schreit auf, damit der jüdische Botschafter Ägypten verläßt und damit alle Verträge mt dem Staat der Ungerechtigkeit und der Aggression aufgekündigt werden“, fordern die jordanischen Moslembrüder.

Über die islamische Lösung gibt es also verschiedene Ansichten. Während die Azhar-Universität die Position der Regierung in islamische Formeln packt, lassen sich die konträren Vorstellungen der Moslembrüder, bereinigt vom islamischen Wortschatz, auf die Position der gesamten ägyptischen Opposition reduzieren. Befreiung Kuwaits ja — ausländische Einmischung nein. Und wenn die ägyptische Linke von einer arabischen Lösung spricht, deckt sich dies fast ganz mit dem, was die Moslembrüder unter einer islamischen Lösung verstehen. Zwischen der Azhar-Universität und den Moslembrüdern stehen Welten. Islam ist eben nicht gleich Islam.