Omas Mahnwachen

■ Auch Kleinstädter protestieren gegen den Golfkrieg

Vermont (taz) — Irgendeine Kleinstadt im Nordosten der Vereinigten Staaten. Der Ort spielt keine Rolle, weil sich die Bilder der Anti- Kriegsproteste überall gleichen. Nach einer Stunde Mahnwache für die Opfer des Golfkrieges bei minus 17 Grad Celsius in der Fußgängerzone haben sich Christel Holzer und ihre Freundinnen zum Aufwärmen in das Einkaufszentrum geflüchtet. An den Tischen von „Shea's Sandwich Theke“ und direkt neben der T-Shirt-Boutique koordinieren die älteren Damen die Proteste ihrer Kirchengruppen: der Katholiken von Pax Christi, der Mennoniten, Episkopalen, Quäker und der Organisation „Beyond War“. Fast alle sind sie Pazifistinnen. „Nur wenn die Kanadier hier an unserer Grenze aufmarschieren würden“, meint eine von ihnen, „dann würd ich mir es noch mal überlegen.“ Aber am Golf, da gibt es für die strammen Mittsechzigerinnen in ihren etwas abgewetzten Pelzmänteln und Anoraks keinen Zweifel, „haben unsere Truppen nichts verloren“. An Leslies Mantelaufschlag steckt dazu ein bissiger Kommentar: „Einen Menschen zu töten, ist Mord. Das Umbringen von 100.000 Menschen nennt sich Außenpolitik.“

Um dem Beobachter zu zeigen, was sie in dieser eisigen Kälte des neuenglischen Winters auf die Straße treibt, haben sie noch einmal ihre abgestellten Schilder hervorgeholt. Sogar der Papst ist mit von der Anti-Kriegspartie. „Dies stellt eine schwere Niederlage für die internationale Diplomatie dar“, hatte der Oberhirte aus Rom bei Kriegsausbruch festgestellt. Doch wie Miriam, Christel, Leslie und Barbara die Zitate noch einmal mit Nachdruck zum Mitschreiben vorlesen, macht deutlich, daß aus ihrem Munde weniger Hochachtung als Kritik an ihren Kirchenvorderen mitschwingt. In den USA hatten zwar fast alle Kirchenführer den Anlauf zum Krieg kritisiert. Doch seit dessen Ausbruch sind auch sie, wie so viele der Sanktionsbefürworter, in ein resigniertes und staatstragendes Schweigen verfallen. Vor dem 16. Januar seien die Menschen in der Fußgängerzone noch häufig zu ihnen herangetreten und hätten sogar ihre Petitionen unterschrieben. Aber jetzt, so schüttelt Miriam enttäuscht und verständnislos den Kopf, seien sie alle der Meinung, man müsse dem Präsidenten blind in den Krieg folgen. Christel, die Tochter eines protestantischen Predigers und religiösen Sozialisten in der Weimarer Republik, ist schon immer gegen Unrecht und Krieg aufgestanden. Als sie damals, 1937 war das, in Kiel als Lehramtsanwärterin einen Eid auf das Naziregime leisten sollte, weigerte sie sich - und ging bald darauf in die Emigration. Der Vater mußte später seine Heimatliebe mit langen Jahren Gefängnis bezahlen. Sie jedenfalls habe keine Sekunde gezögert, sich den anderen Frauen bei ihrer Mahnwache anzuschliessen. Miriam sieht den Krieg am Golf auch unter politischen Gesichtspunkten. Sie hat sich in den letzten Monaten über die Situation im Mittleren Osten sachkundig gemacht und gibt dieses Wissen nun an ihre Schüler am College weiter. Angefangen habe das Ganze schon in den 70er Jahren, sagt sie, als sich im Westen im Gefolge der Ölkrise eine antiarabische Stimmung breit gemacht habe. Fast verzweifelt erzähle sie ihren Studenten von der Ignoranz des Westens gegenüber der arabischen Kultur, „was uns ja die Entmenschlichung unseres Feindes überhaupt erst ermöglicht“. Doch die Jungen scheinen ihrer Lehrerin da kaum noch folgen zu können. Wie sie da so zusammenstehen und in der künstlichen Welt der Einkaufspassage frierend ihre Hände reiben, wirken Christel und ihre idealistischen Mitstreiterinnen wie ein Schnappschuß aus einer längst vergangenen Epoche. Die neue Zeit reagiert auf die Ereignisse am Golf dagegen bereits mit kommerziellem Pragmatismus „Operation Desert Storm - Blitz und Donner“, steht auf den vor der Boutique aushängenden T-Shirts mit dem aufgedruckten „F 15 Eagle“- Kampfbomber. „Die Befreiung Kuwaits hat begonnen — Präsident Bush, 16.1.1991“ Rolf Paasch