Thesen in Grafitties

■ Die Bad Boys Crew in der Gleditsch 45

Drinnen ist Draußen. Mit diesem programmatischen Titel beschreiben vier Graffitisten im Alter von 22 bis 26 Jahren in der Galerie Gleditsch 45 ihren eigenen künstlerischen Weg und den Stand der Graffitis im Allgemeinen. Draußen, das ist der Subway, der Tunnel, das sind Häuserwände, das ist der öffentliche Raum, der okkupiert wird. Drinnen, das sind Leinwand und Sperrholz, das ist Markt statt Anarchie, und das ist der Wechsel aus dem rechtsfreiem Raum in das Asyl der Galerien. Nach Baudrillard ist Graffiti der Angriff der Zeichen auf die Struktur des urbanen. Der in der Gleditsch 45 präsentierten Künstlergruppe BBC und ihres Credo zufolge ist zeitgenössisches Graffiti zweierlei: vorderhand bedeute Graphitism technisch-künstlerische und damit semantische Weiternentwicklung eines ehemals anarchischen Gestus; des weiteren sei es die Festlegung des Graffiti auf die Sprühdose. Dafür gibt es auch schon einen Begriff: Post-Graffiti.

ASH (22), geboren in Madrid, lebt in Paris: »Für mich ist die Sprühdose die Evolution der Farbe. Mit dem Pinsel berührt man den Untergrund, mit der Dose nicht — es ist einfach ein anderes Arbeiten.« Zusamen mit dem dreiundzanzigjährigen JAY ONE aus Guadeloupe und dem gleichaltrigen Pariser SKKI gründete er 1983 die Gruppe BBC (Bad Boys Crew), die im Pariser Banlieue Stalingrad Wandbilder an Bauzäune und Häuserwände sprühte. 1987 stieß der Vierte, JONONE (26) hinzu. Die Abkehr von der traditionellen Codierungswut »wilder« Graffiti-Aktionen, ihren Symbolen und Pop- Zitaten läßt die Gruppe auf das Arsenal der traditionellen malerischen Expression zurückgreifen.

Deutlich wird der Prozeß eigener Selbstbestimmung in den Sprühbildern von ASH und JAY ONE. Nur noch in gestreuten Bildpartikeln wird der Duktus des Sprühens sichtbar; AHS bevorzugt abstrakte Bildkonstellationen, Flächenmalerei und eine manieristische Bild-Zeichen-Kombination, in die er grafische Relikte des »informellen Graffiti« einbettet. Wenn AHS sich — wie die gesamte Gruppe — gegen die Mutmaßung eines Spontaneitätsverlustes wehrt, wenn er betont, daß es ihm gleich sei, wo er male (ob legal oder illegal), so zeichnen sich doch im Kontruktivismus seiner Bilder verschiedene, sowohl für die Gruppe wie auch für die Post-Graffiti-Bewegung zutreffende Tendenzen ab.

Zum einen ist Graffiti nicht mehr Öffentlichkeit, sondern Kunst, und damit (im System tautologischer Prämissen) von Künstlern gemacht. Außerdem ist die Sprühdose nicht mehr nur notwendiges Produktionsmittel — schließlich mußte das Besprühen der Züge sehr, sehr schnell gehen — , sondern der Fetisch einer modernen Jugendbewegung. Und schließlich, wenn Post-Graffiti auch nicht den Verlust der Spontaneität bedeutet, so bedeutet es dennoch die eigene Musealisierung. Gewinn und Verlust einer imaginären Qualität lassen sich hieran zweifellos nicht ausmachen.

Schon vor zehn Jahren äußerte ein New Yorker Graffiti-Pionier, daß er den Begriff Graffiti als »veraltet und inadäquat« empfinde. Der Begriff Post-Graffiti ist zwar nicht veraltet (eher modernistisch), aber sicher nicht weniger inadäquat. Der New Yorker JONONE zeigt mit den Bildern »Master of the Balzi' Blends« und »Ato Z — the Chaser« nicht nur eine andere Ästhetik der Sprühdose. Neben der Dehnbarkeit des Begriff »Graffiti« — und damit des »Inadäquaten« weist JANONE vielmehr auch auf das Vage eines Kunststils hin, der sich entweder auf sein Handwerkszeug, die Sprühdose, beruft oder auf seine Jugendlichkeit.

Dennoch unterschiedet sich JONONE fast grundsätzlich vom Rest der Gruppe. SKKI, JAY ONE und ASH malen (d.h. sprühen) expressiv, aber gegenständlich — bei JONONE dagegen fehlt die Rhetorik von Zeichen und Bildern vollständig. Nicht einmal mehr Piktogramme aus der Comic-Sprache tauchen bei ihm auf. Seine Bilder sind ein wimmelndes Paisley-Patchwork, Kakophonien von Farbklecksen, Zickzacklinien, krabbelnden Einzellern und archaischen Ritzzeichnungen. Mit Filzstift und Sprühdose holt JONONE die totale Geschwindigkeit einer totalen Kulturwelt auf die Leinwand. Daß JONONE seine Lehrzeit mit dem zu»bomben« von Metrozügen verbracht hat, läßt sich in der grafischen Zentrierung von »Blue Steel in the Kingdom of 5« (Sprühfarbe und Filzstift auf Leinwand) ablesen: wie in ein schwarzes Loch rasen alle Farblinien zur Mitte, sind der Geschwindigkeit vorbeirauschender U-Bahnzüge verfallen, implodieren und verstrahlen gleichzeitig.

Die Graffiti-Bilder von JONONE sind in ihrer grafischen Virilität das Eigenständigste der in der Galerei Gleditsch 45 gezeigten Arbeiten; an ihnen erweist sich der Begriff »Graffiti« als »inadäquat«. Die Utensilien sind austauschbar geworden. Die Sprühdose versteckt sich nicht mehr hinter der Nobilität ernster Bilder, ist nicht mehr Ablaßventil ghettoisierter Frustration. JONONE zeigt das mit seinen Bildern, was die anderen mit ihnen sagen wollen: Man kann sich eine Sprühdose kaufen und mit ihr Bilder machen. Und dann ist es vielleicht Kunst. Von Graffiti sollte man allerdings nicht mehr sprechen. Volker Handloik

Bis 9.2. in der Gleditschstr. 45, 1-30; Di-Fr 18-21, Sa 12-16 Uhr