■ Videoclips im Bauch

»Worlradio« ist nicht greifbar. Ein akustisch visueller Flickenteppich, traumhaft verzerrte Realität, irgendwo im Niemandsland zwischen Sendeschluß und Morgennachrichten, zwischen Transitstrecke und Golfkrieg. »Worldradio« ist Weltmusik und New Age zugleich und Brian Eno vielleicht der Vater des Gedankens. Unwillkürlich fällt mir seine intelektuelle Musikschöpfung »My Life in the Bush of Ghosts« ein.

Eno selbst hatte New Age einmal als musikalische Landschaft in Pastelltönen bezeichnet, aus der ihm nur glückselig verblödete Menschen in Birkenstock-Latschen entgegen lächeln. Die Realität bestehe aber, so der Wegbereiter weiter, auch aus Landschaften, in der sich wilde Tiere gegenseitig zerfleischen.

»Worldradio« nimmt den Faden auf und führt uns in die Synchronizität scheinbar isolierter Ereignisse. Nur so können nach schneebedeckten Landschaftsbildern und Sonnenaufgängen am Meer plötzlich Panzerfahrzeuge den »himmlischen Frieden« einer kurzen chinesischen Freiheit niederwalzen. Nur so entsteht ein innerer Zusammenhang zwischen Hendrix »All along the Watchtower« und den aseptischen Videospielen US-amerikanischer Generalsstäbe.

Nachdem Norbert Stolz, alias Genetic DruGs, bereits 1986 den Senats-Rockwettbewerb gewinnen konnte, bastelt er seit zwei Jahren an seinem »Worldradio«- Projekt. Per Weltempfänger hat er Stimmen und mysteriöse Geräuschkulissen fremder Kulturen aufgenommen und sie mit sphärisch-meditativen Klangbildern untermalt. Parallel zur Musik laufen mehrere Filme mit mal traumhaft surrealen, mal mit dokumentarisch realen Sequenzen. Unterstützt werden die vorproduzierten Ton- und Videobänder von einer fünfköpfigen Band, die seit etwa einem Jahr mit Stolz zusammenarbeitet. Neben Querflöte, Violine und dem kraftvollen Soulgesang der ehemaligen The Deep Sängerin Aki Murray bestimmen hauptsächlich percussive Elemente die Live-Performance.

Nachdem das Projekt bereits im Dezember letzten Jahres auf dem »Sound Basis Visual Art«-Festival im polnischem Breslau vorgestellt wurde, ist »Worlradio« seit gestern im Haus der Kulturen der Welt zu erleben.

Auf den ersten Blick scheint alles schon einmal dagewesen. Irgendein neues multimediales Patchwork, inspiriert von Holger Czukays experimentellem Kurzwellengeschraube. Namentlich erinnert »Worldradio« eher an »One World - One Voice« und die damit verbundene Wir-sitzen-alle-in-einem-Boot-Mentalität. Und doch geht Stolzes Unternehmen, wenn auch musikalisch längst nicht so ausgefeilt, einen Schritt weiter.

Spätestens seit der Entstehung moderner elektronischer Medien und einer weltweiten Kommunikation sind globale Zusammenhänge sichtbar geworden, die zuvor für das Individuum nicht wahrnehmbar waren. Die Gier nach »Headline News«, nach dem »Dabeisein« hat die eigene persönliche Erlebniswelt schließlich mit der Fernseh-Wirklichkeit verschmelzen lassen. Die Folge: Innere und äußere Grenzen wurden überschritten, eine neue subjektive Realität, eine »Traumrealität«, wie Norbert Stolz sie nennt, ist längst entstanden. »Worlradio« führt sie uns vor Augen und Ohren.

Am Freitag und Samstag um 18.30 Uhr im Haus der Kulturen der Welt, der Eintritt ist frei. Andreas Kaiser