Zielen und abdrücken

■ Fotografien der Gruppe Eidos am Helsingforser Platz

Jeder der sechs an der Gruppe Eidos beteiligten Künstler hat seine Vita, ist kein Neuling in der ostdeutschen Fotolandschaft. Mögen sich die zwei Fotografinnen und vier Fotografen auch persönlich kennen, so unterscheidet sich doch ihr fotografischer Stil. Persönliche Bekanntschaft oder mangelnde künstlerische Erfahrung sind also nicht die Voraussetzungen für die Gründung der Gruppe gewesen, und auch die veränderte kunstpolitische Landschaft hat daran nur bedingt Anteil.

Der stärkste, allerdings veränderbare Anteil, sind die Fotografen selber in ihrer Individualität. Unterschiedliche Ansätze in Konzept und Aussage verhindern von vornherein einen pragmatischen Gruppenfetischismus; es gibt keine manifestierte Berufszünftelei. Alle Stile sind streitbar — gerade untereinander — und finden ihre Ergänzung im Gegeneinander, sind Teile eines Bild-Theaters mit wechselnden Aufzügen.

Anstößig wie zart

Jedes Gruppenmitglied trägt in sich den künstlerischen Widerspruch der ganzen Gruppe. Kurt Buchwald — Aktionist und Störenfried — ist bilderstürmerisch und bilderwütig zugleich; Tina Bara anonym-detailliert, und ebenso anstößig wie zart. Tina Baras klar-kalte, im Schattenspiel dennoch bildnislose Erotik vermittelnde Körperfotografien entledigen sich seit geraumer Zeit der Einschränkung »Akt und Porträt«. Ihre in den Makrobereich gehenden Körperbilder sind in ihrer Nähe zu Haut und Pore oft brutal; zersetzen die hergebrachte Lehrmeinung über Anatomie mit verwirrenden Bildstrukturen. Tina Bara hat sich in der Vergangenheit einen Namen mit intimen Porträts gemacht. Eine Intimität wurde fixiert, die in ihrer Verspieltheit und Melancholie, im Duktus von Schatten und Schattengrenze, sowohl das Modell als auch den Fotografen festhielt. Ihre Tendenz zum Detail, zum Detail des menschlichen Körpers und dessen sinnlicher Sprache, verfestigt sich in den gezeigten Arbeiten zu einer abstrakten, nicht mehr an die Ganzheit des Körpers gebundenen Sinnlichkeit. Die Erosion des Körpers wird unbarmherzig festgehalten, aber nicht denunziert.

Schwitzende Großformate

Die hier von Bernd Borchardt gezeigten Arbeiten teilen sich formal, jedoch nicht stilistisch. Borchardt präsentiert zum Teil objektbezogene, malerisch wirkende Farbemulsionen von impressionistischer Stimmung. Wie bei diesen Bildern dominiert auch bei den »Stadt«-Fotografien die Arbeit mit Farbstimmungen. Doch während die ersteren Arbeiten die Farbe als raumbildendes Konstrukt der »fernen Wirklichkeit« unterlegen, ist sie in den Stadtbildern dem Gegenstand unterworfen. Der allerdings hat bei Borchardts impressiver, fast willkürlicher Farbigkeit keine Chancen, in sein reales Abbild zu entfliehen. Oft erdrückend technisch manipuliert, schwitzen Borchardts Großformate voll stimmungsgeladener Nuancen. Das Konkrete und das Abstrakte hinterlassen bei Borchardt keine abgegrenzten Konturen, sondern verschwimmen in der Stilisierung der Farbe. Natürlich richtet sich die Farbe in den Fotografien von Borchardt nach der Natur, doch mehr richtet sich die Farbe bei Borchardt nach Borchardt selber. Trotz aller Impression und Farbigkeit ist für Borchardt der Gegenstand, das Mikro- und das Makro-Teil, das schlummernde und herumlümmelnde Indiz der Realität, wichtiger als für alle anderen Mitglieder von Eidos.

Seit Jahren ruft Kurt Buchwald nach dem Krieg der Bilder. Was er damit meint, kann er als Fotograf sicher selbst am besten beurteilen. Buchwald entstammt der traditionellen Konzeptfotografie. Seine verschiedenen Tableaus, Installationen und Serien weisen ihn als aggressiven Zweifler aus. Buchwald ist Störbildner, Störenfried oder einfach ein penetranter Aktionist. Immer öfter stellt er die Kamera als Subjekt seiner Arbeiten in den Mittelpunkt. Kurt Buchwalds Fotografie ist in ihrem Aktionismus entweder verbietend oder bedrohlich.

Der Wotan mit der Kamera

Den Schilderwahn ausnutzend, beklebte er im Sommer 1989 die Weltzeituhr am Alexanderplatz mit Erfolg und wurde verhaftet. Ebenso in Paris am Arc de Triomphe, wo der Bilderstürmer Buchwald von Glück reden konnte, daß er Tage zuvor dem französischen Kulturminister als DDR-Untergründler die Hand schütteln durfte. Bedrohlich tritt Buchwald der Kamera und damit dem Betrachter als maskierter Anarchist entgegen, zertrümmert als Wotan mit zwanzigpfündigem Bello Installationen oder bastelt sich ein Foto-Gewehr mit Visier, das in den Fotografien dann als Lochmaske ein kleineres Bild umschließt. Das dadurch entstandene Bild im Bild bekommt sein Eigenleben. Fehlt der Lochmasken-Serie »Geratow« trotz des minimierten Bildausschnitts Intimität, so braucht das niemanden zu wundern: Buchwald fotografiert schon lange nicht mehr. Er zielt und drückt ab.

Florian Merkel ist der Mystiker bei Eidos. Allerdings pflegt er eine höchst eigennützige Mystik. Merkels Farbfeuerstöße, seine aggressiven wie ephebischen Selbstporträts, seine Assemblagen und Mythenkombinationen gelten zutiefst und zuerst Florian Merkel. Ob im Schlafrock oder mit Gitarre, ob als Dachbodenschütze oder träumerischer Jüngling mit Windrad: Merkel ist der Mittelpunkt einer Wirklichkeit, die er selber inszeniert. Indem er sich und seine Traumwelt in den Mittelpunkt stellt, zerreißt er das oft trügerische Geflecht der Alltagsfotografie, die in ihrer vorgeblichen Objektivität austauschbar wirkt.

Michael Scheffer zeigt seine Landschaftssegmente als Kontaktkopien auf gerissenem Fotokarton. Seine Fotografie ist die abbildendste der Gruppe und verwirklicht damit den Namen Eidos für alle anderen mit. Eidos als Abbild, als Begriff und als Vorstellung von einer Sache, erwacht in der kühlen Distanz Scheffers zu Leben. Wenn Scheffers Fotografie die abbildendste ist, so ist sie allerdings auf Grund ihrer Geschlossenheit und unspektakulären Dramaturgie auch eine abstrakte. Kaum mehr als nur Landschaftsteile sind die Bildinhalte bei Schaeffer auf den ersten Blick. Karg und unromantisch; weder idealisiert oder idolisiert.

Maria Sewcz und ihre Serie »Inter Esse II« weckt Erinnerungen an französische Milieufotografie. Anders als bei Scheffer, dessen Fotografien statisch sind, friert Sewcz die Bewegungen zu einer Erzählung fest. Ihre Momentaufnahmen sind belebt und tragen Sujet-Charakter. Sewcz reagiert wahrscheinlich am offensivsten von allen Mitgliedern der Gruppe Eidos auf den Streit der Bilder. Sie beschränkt sich in ihren Bildern auf die Zufälligkeiten der Realität, und kommentiert mit ihrer persönlichen Sicht den Alltag, ohne ihn zu verfremden. Handloik

Die Ausstellung ist noch bis zum 23. Februar in der Fotogalerie am Helsingforser Platz (di-fr 11-19, sa (10-13 Uhr) zu sehen.