Entscheidung nicht vor der Sommerpause

■ Peter Radunski (CDU), Senator für Bundes- und Europa-Angelegenheiten im Interview zu Regierungssitz und Verhältnis Berlin-Bonn

Seit der vergangenen Woche ist Peter Radunski (51) Senator für Bundes- und Europa-Angelegenheiten. Er ist, wie berichtet, seit Studienzeiten mit dem neuen Regierenden Diepgen befreundet und gilt im Politik-Management als Vollprofi: Ab 1981 war er als Bundesgeschäftsfüher der CDU für die Wahlkämpfe der Partei zuständig — auch für die Wahlen zur Volkskammer im März 1990 und die erste gesamtdeutsche Bundestagswahl. Obwohl Vertrauter Heiner Geißlers, behielt Kanzler Kohl Radunski auf seinem Posten, auch als Geißler als CDU-Generalsekretär abgelöst wurde. Die taz sprach mit Radunski über die neue Rolle Berlins in Bonn, über den Regierungssitz und die Berliner Bundesratsinitiative gegen den Paragraphen 218.

taz: Ist Ihnen die Entscheidung schwer gefallen, Ihren Posten als Bundesgeschäftsführer der CDU aufzugeben?

Peter Radunski: Nein, die Entscheidung ist mir nicht schwer gefallten, und zwar aus einem politischen und einem persönlichen Grund. Der politische Grund ist, daß meine Heimatstadt Berlin jetzt wieder zusammenwächst. Ich bin damals beim Mauerbau politisch aktiv geworden, und jetzt schließt sich ein Kreis für mich. Der andere Punkt ist, daß ich solange in dem anderen Job war, daß ich jetzt wirklich etwas anderes machen möchte.

In seiner Regierungserklärung am Mittwoch hat sich der Bundeskanzler bewußt nicht zu der Frage der Verlegung des Regierungssitzes geäußert. Waren Sie als Mitglied des Berliner Senats nicht verärgert?

Nein, das habe ich gar nicht erwartet. Ich glaube, daß es in diese Regierungserklärung auch gar nicht gehörte. Das, was er zu Berlin gesagt hat, das Bekenntnis zur Olympiastadt Berlin, war für uns eine ganz wichtige Sympathiekundgebung. Wir können jetzt in der Welt sagen: Die Bewerbung Berlins ist sogar ein Programm der Bundesregierung.

Wann rechnen Sie mit einer klaren Aussage von Herrn Kohl?

Das wird er sich selbst vorbehalten. Im Moment ist der Problemhaushalt der deutschen Politik so belastet mit anderen Dingen, daß er ihn nicht zusätzlich wird belasten wollen. Deswegen ist die Hauptstadtfrage jetzt in Anbetracht der Weltpolitik doch eher auf einem Low-profile. Das ändert aber nichts daran, daß an den Perspektivplanungen für Berlin sicher noch in diesem Jahr für das nächste Jahrzehnt Klarheit geschaffen werden muß.

Glauben Sie, daß der Bundestag, wie vom Kanzler als wahrscheinlich angesehen, vor der Sommerpause eine Entscheidung treffen wird?

Nein, damit rechne ich nicht, aber wahrscheinlich in diesem Jahr.

Nun ist die Stimmung in Bonn ja nicht gerade Berlin-freundlich. Was können oder was wollen Sie tun, um dem entgegenzuwirken?

Ihre Situationsbeschreibung ist zutreffend. Wir haben es im Moment mit einer psychologischen Barriere gegen Berlin zu tun. Das hat verschiedene Gründe. Zum einen hängt es mit dem Beharrungsvermögen von Leuten zu tun, die hier leben, Häuser haben etc. Ein anderer ist unsere Situation in Berlin selbst. Da haben viele Leute Affekte, wenn sie daran denken, in welches Brennglas von gesellschaftlichen Problemen sie eigentlich geraten, wenn sie nach Berlin kommen.

Was können Sie gegen diese psychologischen Barrieren tun?

In meinen Augen ist es ganz wichtig, daß überhaupt nach dem euphorischen Zusammenkommen des vorigen Jahres die praktischen Formen des Zusammenlebens gelernt werden. In Bonn sollten meiner Vorstellung nach die Vertreter aus dem Osten viel stärker auftreten und den Bonnern die Probleme hautnah erklären. Ein weiterer Punkt ist: Die Abstimmungen über den Regierungssitz werden weniger nach parteipolitischen Gesichtspunkten ausfallen, sondern jeder einzelne wird sich hier entscheiden. Es ist sehr wichtig, im Vorfeld mit einzelnen Abgeordneten zu sprechen.

Der Vorgängersenat hat eine sehr umstrittene Kampagne gestartet, um für den Regierungssitz zu werben, die insgesamt eher das Gegenteil bewirkt hat. Werden Sie solche Kampagnen auch machen?

Nun, der Vorgängersenat hat es sicher gut gemeint. Aber ich kenne das als alter Wahlkämpfer: Man muß immer höllisch aufpassen, daß Werbekampagnen nicht isoliert laufen. Ich bin davon überzeugt, daß kommerzielle Werbestrategien nur dann einen Sinn haben, wenn ich vorher in einer politischen Diskussionsphase Ideen und Pläne lanciert habe. Erst dann kann eine solche Kampagne greifen, und ich würde das dann auch machen.

Was tut eigentlich ein Senator für Bundesangelegenheiten, nachdem Berlin ein ganz normales Bundesland geworden ist und nicht unter dem Vier-Mächte-Status steht?

Das ist eine wirklich berechtigte Frage. Der existentielle Teil, der Berlin-Status ist weggefallen. Jetzt müssen wir den Berlinern langsam erklären, daß Berlin ein Bundesland wie jedes andere ist — im Mittelfeld der Länder — und vier Stimmen im Bundesrat einzubringen hat. Berlin wirkt nun endlich als voll stimmberechtigtes Land an der Gesetzgebung mit, und da ist jetzt ein neuer Schwerpunkt. Die Verhältnisse im Bundesrat sind ja jetzt so, daß weder die CDU-Länder noch die SPD-Länder eine Mehrheit haben. Da spielt ein Land, das von einer großen Koalition geführt wird, eine ganz entscheidende Rolle. Je nachdem, wie sich Berlin entscheidet, fallen unter Umständen Entscheidungen im Bundesrat.

Sie düfen sich jetzt auch Senator für Europa-Angelegenheiten nennen. Was hat man sich darunter vorzustellen?

Das ist ein ganz wichtiges neues Aufgabenfeld. Hier ist in den nächsten zwei Jahren eine Menge zu tun. Wenn der europäische Markt kommt, wird Berlin als Stadt in der Mitte Europas eine ganz ganz wichtige Rolle spielen. Ich bin mir mit dem Regierenden Bürgermeister einig, daß wir hier einen ganz starken Akzent setzen werden.

Die Berliner Koalitionsparteien haben sich geeinigt, die unter rot- grün gestartete Bundesratsinitiative gegen den Paragraphen 218 weiter zu betreiben. Kommen Sie mit dieser Position nicht in Konflikt mit anderen CDU-Ländern?

Jede Partei wird ihre Position zu formulieren haben. Unser Entwurf wird, wenn es ins Gesetzgebungsverfahren geht, sicher mit einem Regierungsentwurf konfrontiert sein. Die Entscheidung wird dann ebenfalls weniger eine parteipolitische als eine von Einzelpersonen sein. Ich glaube kaum, daß es da geschlossene A- und B-Länder-Formationen geben wird. Aber Sie haben Recht: Die Berliner Koalition muß sich dann einigen, welche Position sie einnimmt. Es ist klar, daß die Position des bisherigen Senats nicht ganz die der CDU sein kann.

Also ein potentieller Streitpunkt zwischen SPD und CDU?

Ob es ein Streitpunkt wird, werden wir sehen. Auf jeden Fall wird darüber noch zu diskutieren sein. Interview: Kordula Doerfler