Radioaktivität: Hauptstadt mit Dosimeter

■ Wetteramt hat vier Sonden in Betrieb genommen, die die Ortsdosisleistung von Radioaktivität messen/ Daten gehen online nach Bonn — auf Monitor ist Berlin zur Zeit grün/ Endlich sind Rückschlüsse auf Gesundheitsgefahr per Knopfdruck möglich

Berlin/Bonn. Bisher haben es nur Mitarbeiter von Atomkraftwerken auf ihre Brust heften oder um den Hals hängen müssen: das Dosimeter. Jetzt trägt es sozusagen auch der Berliner Bär auf seinem Fell. Denn das Wetteramt hat in der Hauptstadt vier High-Tech-Pfähle in die Erde gerammt, mit denen radioaktive Strahlung in Tegel, Gatow, Zehlendorf und Tempelhof rund um die Uhr gemessen wird.

Bisher hatte das Wetteramt auf dem Flughafen in Tempelhof nur die Aktivität der Strahlung (Maßeinheit: Bequerel) in der dortigen Luft gemessen. Da sich Radioaktivität aus gefährlicheren und ungefährlicheren Strahlungen zusammensetzt, kann man von Bequerel nur sehr schwer auf die gesundheitliche Gefahr schließen. Die neuen vier sogenannten Zählrohrgeräte erfassen nun aber die radioaktive Ortsdosisleistung (Maßeinheit: Gray, früher: Röntgen). Ähnlich wie bei Mitarbeitern in Atomkraftwerken wird jetzt auch für Berlin festgehalten, wie lange seine Bewohner einer radioaktiven Dosis ausgesetzt waren — und wie hoch die ist. Daraus läßt sich schließen, welche gesundheitlichen Gefahren zu erwarten sind.

Über die gesamte Fläche der alten Bundesrepublik ist ein Netz von diesen High-Tech-Pfählen gespannt. Wie Nervenstränge laufen die Datenleitungen, die bei den über 2.000 Pfählen beginnen, im Zentrallabor des Deutschen Wetterdienstes in Offenbach zusammen. Dort wird die digitalisierte Information sekundenschnell weiterverarbeitet und automatisch ins Bonner Umweltministerium gesendet.

Dort zeigt ein überdimensionaler Computerbildschirm die aktuelle Lage in den Altbundesländern und West-Berlin. Gestern leuchtete die Hauptstadt an der Spree in Töpfers Ministerium in einem satten Grün (zwischen 0,05 Mikrogray und 0,15 Mikrogray pro Stunde), der Bayrische Wald in tristem Braun. In Berlin war also die Ortsdosisleistung wesentlich niedriger als zwischen bayrischen Nadelbäumen — das liegt daran, daß in den Erdschichten des süddeutschen Waldgebietes Uranerze verborgen sind.

Sollte zum Beispiel das Zählrohrgerät in Zehlendorf registrieren, daß sich die Ortsdosisleistung gegenüber dem üblichen Wert verdoppelt hat, wird in Bonn Alarm geschlagen. Lange vor der Dosisverdoppelung werde die Aktivität der radioaktiven Strahlung zugenommen haben, deshalb käme ein Alarm nicht unerwartet, hieß es gestern beim Umweltbundesministerium. Auch in Berlin werden dann die Kollegen des Wetteramtes die steigenden Bequerel-Werte beobachtet und die Anzahl der Messungen erhöht haben.

Mario Hoffmann, Wetterdienst- Techniker in Tempelhof, erklärte, daß sein Amt Luft ansauge und in dieser die Häufigkeit von radioaktiven Isotopen wie Jod 131 oder Cäsium 132 mißt. Anhand der gefundenen Isotope könne man auf die Art des kerntechnischen Ereignisses schließen: zum Beispiel auf einen Unfall in der Atomindustrie oder auf den Einsatz von Atomwaffen. Seit Beginn des Golfkrieges werde nicht mehr wöchentlich gemessen, sondern täglich.

Sollten im Rahmen des Krieges am Persischen Golf vom Irak oder den Alliierten atomare Waffen eingesetzt werden, dann würde es nach Ansicht der Experten mehrere Wochen dauern, bis eine verstrahlte Wolke über Europa und somit auch über Berlin hinwegzieht. Die Winde am Golf wehen überwiegend in Richtung Ost- und Nordost, heißt es in Töpfers Ministerium.

Ob die Strahlenbelastung für Berlin ähnlich gefährlich werden könnte wie nach der Reaktorkatastrophe im ukrainischen Tschernobyl, könne man nicht einschätzen. Falls Atomwaffen am Golf eingesetzt werden, könne man das zwar in Berlin messen, aber die Ortsdosisleistung würde davon noch nicht steigen. Dirk Wildt